Die Frage der Theodizee
Definition
Die Theodizee (Rechtfertigung Gottes angesichts
des Leids) ist ein klassisches theologisches Problem, das die Frage behandelt,
wie die Allmacht, Allgüte und Allwissenheit Gottes mit der Existenz des Bösen
und des Leids in der Welt vereinbar ist. Es war wohl der Philosoph Gottfried
Wilhelm Leibniz (1646-1716), der den Begriff der Theodizee geprägt hat. Das
Problem wird allerdings schon bei Epikur (341-270 v. Chr.) bedacht. Von
ihm ist der folgende Text, der allerdings von dem Theologen Laktanz (250-317)
bearbeitet wurde, überliefert: "Entweder will Gott die Übel beseitigen
und kann es nicht: dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft, oder er
kann es und will es nicht: dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist, oder
er will es nicht und kann es nicht: dann ist er schwach und missgünstig
zugleich, also nicht Gott, oder er will es und kann es, was allein für Gott
ziemt: Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?" In
diesen Überlegungen zeigt sich die ganze Dramatik der Frage der Theodizee.
Gleich vorweg: Es gibt keine allgemein gültige und überzeugende Antwort auf
diese Frage, die nicht nur philosophischer Natur ist, sondern letztlich auch
ganz existentiell sein kann, nämlich dann, wenn man selbst von Leid betroffen
ist und darüber an Gott zweifelt oder gar Gott ablehnt. "Das Leid",
so ist uns von Georg Büchner in dessen Drama "Dantons Tod" überliefert, "ist
der Fels des Atheismus".
Auseinandersetzung in der Literatur
In der Literatur wird der "gute Gott" immer wieder sehr deutlich in
Frage gestellt. Vertreter sind u. a. Wolfgang Borchert (1921-1947) mit seinem Hörspiel
"Draußen vor der Tür", wo er Gott anklagt, eben nicht im II.
Weltkrieg da gewesen zu sein. Dem Protagonisten des Hörspiels, dem Soldaten
Beckmann, begegnet Gott dabei in einem Traum als alter Mann. Beckmann fragt
Gott provozierend an: "Wann bist du eigentlich lieb, lieber Gott? Warst du
lieb, als du meinen Jungen, der gerade ein Jahr alt war, als du meinen kleinen
Jungen von einer brüllenden Bombe zerreißen ließt!" ... "Warst du
in Stalingrad lieb, lieber Gott, warst du da lieb, wie? Ja? Wann warst du denn
eigentlich lieb, Gott, wann? Wann hast du dich jemals um uns gekümmert,
Gott?" In dieser Szene verteidigt sich Gott dahingehend, dass sich die
Menschen von ihm, nicht er sich von den Menschen, abgewendet hätten. Dies lässt
Borchert allerdings nicht gelten. Er sagt von ihm, er sei "ein alter Mann,
an den keiner mehr glaubt" oder gar: "Du bist tot, Gott. Sei mit uns
lebendig, nachts, wenn es kalt ist, einsam und wenn der Magen knurrt in der
Stille - dann sei mit uns lebendig, Gott".
In Fjodor M. Dostojewski's (1821-1881) Roman "Die Brüder
Karamasow" wird
die Frage der Theodizee ebenfalls anhand einer Geschichte diskutiert, die vom
Leid eines Kindes erzählt, das von den Hunden eines herrschsüchtigen und
brutalen Generals gehetzt und getötet wird, weil der Junge beim Spielen den
Fuß des Lieblingshundes des Generals verletzt hatte. Iwan Karamasow erläutert
seinem Bruder Aljoscha Karamasow, einem Novizen, seine Haltung zum unsäglichen
Leid, gerade von Kindern. Dabei philosophiert er, dass in der "Harmonie
Gottes" vielleicht einmal Gepeinigte und Peiniger sich umarmen und
versöhnen, dass Leid vielleicht notwendig sei, um diese Harmonie einstmals
herzustellen. Gerade dagegen aber wehrt sich Iwan. "O, Aljoscha, ich will nicht
Gott lästern!" ruft Iwan aus, weil er die Harmonie im Himmel dazu führt,
dass alle jubilieren: "Gerecht bist du, o Herr, denn offenbar sind jetzt
deine Wege". Iwan aber will diese Harmonie nicht akzeptieren. Er will
nicht, dass die Leiden der Kinder geschehen müssen, um die Wahrheit letztlich
offenbar werden zu lassen. Er will keine Harmonie, "aus Liebe zur
Menschheit will ich sie nicht". Iwan lehnt Gott nicht ab, aber er will
nichts mit diesem Gott und der Harmonie Gottes, die sich in Verzeihung ereignet
zu tun haben. Es scheint ihm eine Frage der Ehrlichkeit zu sein, sich aus dieser
Harmonie zu entfernen. "Nicht Gott ist es, den ich ablehne, Aljoscha, ich
gebe ihm nur die Eintrittskarte ergebenst zurück." So lehnt der zutiefst
zornige Iwan Karamasow es ab, mit Gott, der alle Übel der Welt letztendlich
zur Harmonie führt, etwas zu tun zu haben. Iwan setzt sich in dem Roman mit
einem Erklärungsmuster der Theodizee auseinander, das wohl dahingehend lautete,
dass das Leid der Welt kein wirkliches sei, sondern letztlich im Guten, in der
Harmonie, aufgehen würde. Im Paradies verwandelt sich die Ungerechtigkeit, die
Habsucht, das Böse der Menschen in Verzeihung und Vergebung, in Harmonie
zwischen Tätern und Opfern. Und genau dies will Iwan nicht akzeptieren.
Ein Anderer, der sich mit dem
guten Gott und dem Leid auseinandersetzt, ist Albert Camus (1913-1960) in seinem Roman
"Die Pest", wo der Priester Paneloux mit dem Arzt Rieux in einen
Disput über die Rolle Gottes kommt. Rieux will einfach nicht wahrhaben, wie
Gott das Leid von unschuldigen Kindern zulassen kann. "Und ich werde mich
bis in den Tod hinein weigern, die Schöpfung zu lieben, in der Kinder gemartert
werden" Der Jesuitenpriester Paneloux, der
ursprünglich Gott noch verteidigt, zieht für sich die wohl logischte
Konsequenz des Christen angesichts des Leids. Er hilft, wo er helfen kann. Er
schweigt, hält sich mit frommen Sprüchen zurück und versucht mit seiner guten
Tat, dem Elend zu begegnen. Für Camus gilt (so in seinem "Mythos von
Sisyphos"): "Entweder wir sind nicht frei und der allmächtige Gott
ist frü das Böse verantwortlich. Oder wir sind frei und verantwortlich, aber
Gott ist nicht allmächtig. Alle scholastischen Spitzfindigkeiten haben der
Schärfe dieses Paradoxons nichts hinzugefügt und nichts genommen."
Auch Elie Wiesel (geb. 1928) setzt sich mit der Frage des Leids,
gerade angesichts des Holocausts intensiv auseinander. In diesem Zusammenhang
ist vor allem seine Romantrilogie "Die Nacht zu begraben, Elischa" zu
bedenken. In dem ersten und wohl eindringlichsten Roman "Die Nacht"
beschreibt Elie Wiesel seine Erlebnisse in Auschwitz. Die Frage nach Gott wird
in diesem Roman explizit an einer Stelle gestellt, als drei Häftlinge erhängt
werden. Zwei Männer, bei denen Waffen gefunden wurden, und Pipel, ein Junge,
der die Hintermänner eines Anschlags nicht verraten hatte. Als die zum Tode
Verurteilten auf die Stühle gestellt wurden, hört Elie Wiesel die Frage:
"Wo ist Gott, wo ist er". Es gibt zunächst keine Antwort. Als dann
der Junge, weil er leichter war als die Erwachsenen, mehr als eine halbe Stunde
noch am Galgen lebend hing, ertönte die Frage noch einmal: "Wo ist
Gott?" Im Roman "Die Nacht" schreibt Elie Wiesel: "Und ich
hörte eine Stimme in mir antworten: 'Wo er ist? Dort - dort hängt er, am
Galgen..." Elie Wiesel räumt ein, dass er nach den Erfahrungen in
Auschwitz zwischen Glauben und Zweifel schwankte. Die Idee Mensch sei in
Auschwitz vernichtet worden, so Wiesel an anderer Stelle. Und weiter: "Man
kann Auschwitz nicht mit Gott begreifen, aber man kann Auschwitz auch nicht ohne
Gott begreifen." Für Wiesel ist klar. Man kann nach Auschwitz wohl keine
gültigen Aussagen mehr über Gott treffen (Theologie), aber man kann und soll
weiterhin mit ihm sprechen, selbst wenn man seinen Zorn, seine Wut an ihn
richtet. Im Hinblick auf das Christentum kritisiert Wiesel die Überhöhung des
Leids durch den Kreuzestod Christi. Die erlösende Wirkung des Leidens und
Sterbens Jesu ideologisiere das Leid, anstatt es zu bekämpfen, so die Kritik
Wiesels.
"Klassische" Antwortversuche
Besonders dringlich wurde die Frage der Theodizee nach Auschwitz, wo mehr als 1 Million
Menschen von den Nazis ermordet wurden. Hans Jonas (1903 bis 1993), ein
jüdischer Philosoph, der mit seinem Buch "Das Prinzip Verantwortung"
berühmt wurde, schließt in diesem Zusammenhang aus, dass Gott sowohl
allmächtig als auch allgütig sein könne. Er entscheidet sich letztlich
dafür, dass er die Allmacht Gottes in Frage stellt, die Allgüte im Rückgriff
auf das jüdisch-christliche Gottesbild allerdings postuliert.
Letztlich gibt es auf diese Frage allerdings keine allseits befriedigende
und überzeugende Antwort, höchstens Antwortversuche,
Annäherungen, Vermutungen. Diese sind - je nach der Einstellung des
Antwortversuchenden - entweder radikal Gott ablehnend oder höchstens
vorläufig. Dennoch ereifern sich immer wieder Menschen, Antworten zu geben.
Diese seien nachfolgend angedeutet. Dabei muss immer bedacht werden, dass es
Leid und Übel ja in unterschiedlicher Weise als physisches Leid, zu dem etwa
Krankheiten oder Naturkatastrophen gehören, die vom Menschen nicht verschuldet
sind, oder als moralisches Übel, das dem Willen und dem Fehlverhalten des
Menschen entspringt, gibt. Gewiss zählen die Greueltaten von Auschwitz zum
moralischen Übel, das in der Verantwortung von Menschen liegt.
Nach den Überlegungen von Gottfried Wilhelm Leibniz (Bild, siehe oben) hat
Gott von einer Unzahl möglicher Welten die "beste aller möglichen
Welten" geschaffen, in der das Übel den kleinsten Raum einnimmt. Er
spricht neben dem physischen und dem moralischen Übel auch von einem
metaphysischen Übel. Er meint damit, dass das Geschaffene notwendig
unvollkommen ist, da es sonst mit Gott identisch wäre. Für ihn ist das Übel
und das Böse notwendige Voraussetzung dafür, das Gute zu erkennen.
Ein anderer Antwortversuch verweist auf die von Gott den Menschen geschenkte
Freiheit. Diese Freiheit lässt eben auch die Freiheit zum Bösen zu. Damit
kann vielleicht das moralische Übel erklärt, vielleicht sogar verstanden
werden, die Existenz des physischen Übels und Leids, das vom Menschen letztlich
nicht verschuldet ist, kann dadurch allerdings nicht annähernd nachvollziehbar
werden. Zuweilen wird in diesem Zusammenhang auch die Paradieserzählung
bemüht. Gott hat die Erde nicht so gewollt und geschaffen, wie sie sich uns
darstellt. Er wollte nicht das Leid, nicht den Tod, nicht das Unrecht, die
Gewalt oder die Lüge. Das Bild vom Paradies und dessen Harmonie will uns dieses
deutlich machen. Dass die Welt dann allerdings so geworden ist, wie sie ist,
liegt im Willen des Menschen begründet, wenn wir die Botschaft der
Paradieserzählung deuten wollen. Er war es und ist es, der die Gemeinschaft mit
Gott von sich aus aufkündigte, weil er seine ihm von Gott gesetzte Grenze, die
mit dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse symbolisch dargestellt wird,
überschritten hat. Weil der Mensch letztlich sein wollte wie Gott (dies wird
als "Hybris" des Menschen bezeichnet), muss er die Konsequenzen
tragen. Die Theologie spricht in diesem Zusammenhang von der durch Adam in die
Welt gekommenen Erbsünde oder Erbschuld.
Weitere - allerdings eher religiös-fundamentalistische - Antwortversuche sind,
dass das Leid zur Bestrafung der Sünder diene, zur Bekehrung oder Besserung der
Menschen (vgl. Sprichwörter 3,12: "Wen der Herr liebt, den züchtigt er"), zur
Prüfung und Bewährung des Glaubens und der Gottesliebe (z. B. Gen 22,1-19
Abrahams Opferung oder auch das Buch Hiob, das auch schon in dieser Richtung
interpretiert wurde).
Andere Interpretationsansätze sind, dass das Leid eines Menschen als höchste
Form der Solidarität mit dem leidenden und sterbenden Jesus verstanden wurde (Mk
8,34f: " Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir
nach...") oder zum Trost und Vorbild für andere leidende Menschen diene oder gar
als Appell an die Menschen zur sozialen Tat verstanden wurde.
Auch der Versuch, dem Leid insofern einen Sinn abzugewinnen, dass dieses den
Menschen läutere und zur persönlichen Reife beitrage, kann nicht einfach
unbeteiligt und erklärend vertreten werden. Diese Erfahrung können Menschen
dennoch für sich persönlich machen.
All diese Erklärungsmuster können nicht wirklich überzeugen.
Vielmehr wecken diese den Verdacht, dass Gott letztlich das Leid wolle und den
Menschen über das Leid gar instrumentalisieren wolle.
Lange Zeit - und noch heute im Judentum, allerdings auch im Christentum nicht
fremd - galt das so genannte "Tun-Ergehen-Schema" als
Erklärungsmuster für menschliches Leid. Demnach leiden Menschen, weil sie es
letztlich selbst zuzuschreiben haben. Es ergeht ihnen nach dem, was sie getan
haben. Und so sie sich etwa versündigt haben, so werden sie entsprechend
bestraft. Das Tun-Ergehen-Schema wurde dabei so verstanden, dass es auch
generationenübergreifend wirksam sein kann, d. h. dass Nachkommen für die
Schandtaten, das Fehlverhalten oder auch nur das törichte Benehmen ihrer Ahnen zur Verantwortung gezogen werden.
Der tiefere Sinn des Tun-Ergehen-Schemas oder Tun-Ergehen-Zusammenhangs liegt in
der Überzeugung von einer geordneten Schöpfung. Die Störung dieser Ordnung
hat entsprechende Konsequenzen zur Folge. Gleichzeitig ist in dieser
Schöpfungsordnung auch Gott berücksichtigt. Ein Vergehen gegen die Ordnung und
damit die Ermöglichung des Chaos betrifft immer auch Gott, der dann selbst
eingreift und entsprechend das Unrecht ahndet. Mit dieser
"Erklärung" des Leids muss sich auch der aufs Übelste leidende Hiob
auseinandersetzen. Seine Freunde halten ihm dieses Erklärungsmuster vor. Hiob
aber wehrt sich standhaft dagegen und bleibt dabei, dass er kein Unrecht getan
habe, welches ein derartiges Maß von Leid rechtfertigen würde, wie es ihm
zuteil wurde.
Zudem steht hinter diesem Erklärungsmuster des "Tun-Ergehen-Schemas"
auch ein sehr problematisches Gottesbild. Die Gerechtigkeit Gottes wird hierbei
als Buchhaltergerechtigkeit (fehl-)gedeutet. Das Gottesbild muss als ein sehr
wenig entwickeltes bezeichnet werden. Außerdem widerspricht dieses
Erklärungsmuster vielfältigen Erfahrungen, die zeigen, dass gerade Menschen,
die sich wenig gottgefällig verhalten, dennoch erfolgreich sind und
offensichtlich weitgehend von Leid verschont bleiben. Somit kann heute das
Tun-Ergehen-Schema weder bei persönlichem Leid noch etwa bei Krankheiten wie
etwa Aids als Erklärungsmuster herangezogen werden. Dennoch wurde und wird Aids
oder andere "Schicksalsschläge" darauf zurückgeführt, dass sich die
Menschen versündigt hätten und deshalb die Strafe Gottes erfolgen würde.
Dieser Gedanke, so seltsam er uns auch erscheinen mag, ist letztlich Grundlage
des Geschichtsverständnisses des Volkes Israel. Das ganze Alte Testament kann
als die Geschichte des Volkes Israel mit seinem Gott Jahwe gedeutet werden.
Politische Krisensituationen wurden dabei immer als Abkehr Gottes von den
Menschen verstanden, die sich zuvor allerdings von Jahwe abgewendet hatten oder
anderen Göttern (wie etwa Baal) huldigten.
Die Gestalt Ijob (oder Hiob)
Struktur und Gattung
Das Buch Hiob oder Ijob oder Job (es existieren verschiedene Schreibweisen)
ist die einzige biblische Schrift, die sich mit der Problematik der Theodizee
auseinandersetzt.
Die Rahmenerzählung (Ijob 1,1-2,10 und 42,7-17) geht dabei auf eine alte
Volksüberlieferung von einem vorbildlichen und gerechten Mann zurück. In diese
Rahmenerzählung ist der Hauptteil in dichterischer Form eingefügt. Die
Rahmenerzählung selbst ist in Prosa gehalten. Diese kann als (weisheitliche)
Novelle bezeichnet werden. Die Rahmenerzählung selbst entstand wohl schon im 6.
Jahrhundert vor Christus, der eigentliche Hauptteil des Buches mit den
Streitgesprächen Hiobs mit seinen Freunden und den Klagen gegenüber Gott wurde
im 4. Jahrhundert v. Chr. eingefügt. Der Hauptteil ist inhaltlich eine
Auseinandersetzung mit der in der Rahmenerzählung vertretenen Theologie, wo
Hiob als der geduldige Leidende erweist, der das klassische Tun-Ergehen-Schema
quasi fraglos akzeptiert. Im jüngeren Hauptteil des Buches wird dagegen ein
anklagender, zuweilen gar rebellischer Hiob vorgestellt, der ein neues Welt- und
Gottesbild sucht und dieses in den Dialogen mit seinen Freunden und mit Gott
entwickelt. Nach der literarischen Gattung des Buches ist dieses der
Weisheitsliteratur zuzurechnen.
Inhalt
Hiob, ein gerechter, rechtschaffener und zudem erfolgreicher Mann, wird -
nachdem in der Rahmenerzählung berichtet wird, dass Satan den Glauben Hiobs nur
auf dessen Wohlergehen zurückführt - quasi der Willkür Satans übergeben (Ijob
1,12: "Der Herr sprach zum Satan: Gut, all sein Besitz ist in deiner Hand,
nur gegen ihn selbst streck deine Hand nicht aus"). Daraufhin wird Hiob mit
allerlei Plagen konfrontiert. Er verliert seinen Reichtum, seine Herden, seine
Söhne und Töchter" (vgl. Ijob 1, 13-19).
Auf diese Situation reagiert Hiob/Ijob noch sehr ergeben. Obwohl er trauert,
betet er: "Der Her hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name
des Herrn" (Ijob 1, 21b).
Daraufhin wird - gemäß der Darstellung im Buch Ijob - auch die Gesundheit des
Hiob in die Hand des Satan gelegt. Nur sein Leben muss er schonen. Hiob wird
dann mit Geschwüren "geschlagen".
Im Hauptteil des Buches Hiobs, den Streitreden (Ijob 2,11- 31,40) setzt sich der
Gepeinigte dann mit seinem Schicksal und den Vorhaltungen seiner Freunde
auseinander. Diese halten ihm vor, dass seine Situation das Ergebnis eines
Fehlverhaltens war (z. B. Ijob 4,7f: "Bedenk doch! Wer geht ohne Schuld
zugrunde? Wo werden Redliche im Stich gelassen. Wohin ich sauche: Wer Unrecht
pflügt, wer Unheil sät, der ernte es auch.") In diesen
Auseinandersetzungen wird Hiob auch zum großen Klagenden und Anklagenden Gottes
(vgl. z. B. Ijob 30, 20f: "Ich schreie zu dir, und du erwiderst mir nicht;
ich stehe da, doch du achtest nicht auf mich. Du wandelst dich zum grausamen
Feind gegen mich, mit deiner starken Hand befehdest du mich"). Er hadert
mit Gott, beteuert wiederholt seine Unschuld und seine Rechtschaffenheit (u. a.
Ijob 31). Den Schluss des Buches Hiob bilden zwei Reden Gottes und schließlich
die Umkehr, Einsicht in die Größe Gottes und Unterwerfung des Hiob (Kapitel 38
bis 42). Gott führt Hiob vor, dass er die allwissende Ursache allen Seins ist
und dass der Mensch und damit auch Hiob nur eine sehr begrenzte Einsicht hat.
Hiob sieht ein, dass er die Wege Gottes und damit auch sein eigenes Leiden
letztlich nicht verstehen kann. (Ijob 42, 1-6: "Ich habe erkannt, dass du
alles vermagst; kein Vorhaben ist dir verwehrt. Wer ist es, der ohne Einsicht
den Rat verdunkelt. So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, die zu
wunderbar für mich und unbegreiflich sind. ... Vom Hörensagen nur hatte ich
von dir vernommen, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. Darum widerrufe ich
und atme auf, in Staub und Asche.")
Den Schlusspunkt des Buches bildet der Bericht darüber, dass Hiobs spätere
Lebenszeit von Gott mehr gesegnet war als seine frühere. Schließlich heißt
es: "Dann starb Ijob, hochbetagt und satt an Lebenstagen" (Ijob 42,
17).
Obwohl also Gott Ijob nicht rechtfertigt, ergibt sich für diesen doch eine neue
Perspektive (er atmet auf, wenn auch in Staub und Asche). Gott, der von Ijob
gelästert und herausgefordert wurde, neigt sich ihm zu, lässt ihn seine Nähe
spüren, spricht zu ihm. Er ist auch im Leiden da für Ijob. Ijobs Leben und
Leiden wird so auf ein neues Fundament gestellt, nämlich auf das Fundament der
Gemeinschaft mit Gott. Diese lässt ihn sein Schicksal ertragen, wenngleich ihm
auch die Einsicht in Gottes Handeln verwehrt bleibt. Die Gottesreden im Buch
Ijob zeigen einen weiteren Ansatz, der im Zusammenhang mit der Frage der
Theodizee formuliert wird. Es ist nicht wesentlich, die Gründe für das Unheil
und Leid zu begreifen. Dieses und Gott bleiben unbegreiflich. Gott gibt sich dem
Menschen aber auch im Leid zu erkennen, macht sich Mühe um den Menschen, lässt
ihn nicht im Stich, ja, ist vielleicht sogar Mit-Leidender (wie das Kreuz Jesu
auch interpretiert werden kann).
So wird Hiob zum Vorbild des Glaubenden, auch angesichts des Leids. Er klagt an,
er hadert, er zweifelt. Letztlich aber bleibt ihm das Grundvertrauen und der
Glaube an Gott, der ihn zwar das Leid nicht verstehen lässt, aber ertragen
lässt.
Unterschiedliche Hiob-Interpretationen
Im Mittelalter wurde Hiob vor allem als der große und demütige Dulder
gesehen. Die Hiobsgeduld wurde geradezu sprichwörtlich. Später wurde - so auch
in der neueren Hiob-Rezeption (also Wirkungsgeschichte) der rebellische und sich
auflehnende Hiob betont. Ernst Bloch, ein bedeutender Philosoph, der sich selbst
allerdings als Atheist verstand, sieht das Buch Hiob als Buch der
"menschlichen Revolte", weil Hiob Gottes Gerechtigkeit in Frage stellt
oder gar verneint.
Das Buch Hiob wird als eines der bedeutendsten Bücher der Weltliteratur gesehen
und hat Philosophen, Theologen und Literaten zur Auseinandersetzung provoziert.
Selbst Goethe hat das Motiv der Herausforderung Gottes in seinem
"Faust" übernommen.
Die wohl bekannteste Rezeption des Buches Hiob ist der Roman von Joseph Roth
"Hiob. Roman eines einfachen Mannes" aus dem Jahre 1930.
Für andere wurde Hiob quasi zum Symbol für die Leiden des jüdischen Volkes.
Die Konsequenz aus der Auseinandersetzung mit dem Buch Hiob ist allerdings
durchaus unterschiedlich. Für manche wurde die Einsicht Hiobs zum Vorbild,
andere wiederum wurden durch das Symbol Hiob zu Atheisten.
An der Wand eines Kölner Kellers, in dem sich einige Juden während des
gesamten Krieges von den Nazis versteckt hatten, fand sich folgender Satz:
"Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die
Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle. Ich glaube an Gott, auch wenn er
schweigt."
Philosophische Annäherungen
In der Frage der Theodizee stoßen zwei Aussagen in Widerspruch aufeinander.
Einerseits wird Gott als allgütig, allwissend und allmächtig (so der
philosophische Gottesbegriff, der allerdings der biblischen Vorstellung nicht
immer entspricht) definiert, anderseits gibt es die Erfahrung von Leid, Bösem
und Unheil. Die philosophischen Ansätze versuchen nun, diesen Widerspruch
derart aufzulösen, dass sie eine der beiden Postulate aufheben oder wenigstens
entkräften.
So sahen Augustinus und Thomas von Aquin im Leid nur den Mangel an
Guten oder eine Perversion des Guten. Sie räumten dem Bösen kein eigenständiges Sein
ein, weil Gott das Gute schlechthin ist und alles, was von ihm geschaffen wurde,
im Wesentlichen gut ist. Nach Augustinus gibt es also nichts, was vollkommen
böse ist.
Für Leibniz gehört das Leid und das Böse zum "Gesamtkunstwerk
Welt". Gott hat die beste aller möglichen Welten erschaffen, allerdings
keine vollkommene, weil diese dann quasi Gott gleich wäre.
Für Hegel ist das Leid ein Durchgangsstadium der Geschichte. Nach seiner
Geschichtsphilosophie, die auf dem Grundprinzip der Dialektik (These - Antithese
- Synthese) beruht, entwickelt sich Geschichte aus der Gegensätzlichkeit von
These und Antithese zur Synthese und damit zum Fortschritt. Diese Gegensätzlichkeit
schließt die Möglichkeit des Bösen und des Unheils ein.
Andere Ansätze stellen die Allmacht Gottes in Frage. So taucht immer wieder ein
mehr oder weniger offener Dualismus in der Diskussion auf. Demnach würde es ein
gutes (Gott) und ein böses Prinzip (Satan, Widersacher...) geben, die im
Widerstreit miteinander stehen. Luther nahm sogar so etwas wie einen "innergöttlichen Dualismus" an. Er spricht vom Deus absconditus (verborgener
Gott, der Zorn und Rache kennt) und den Deus relevatus (offenbarter Gott, Gott
der Liebe und Barmherzigkeit).
Und immer wieder taucht auch in der philosophischen Diskussion der Verweis auf
die von Gott dem Menschen geschenkte Freiheit auf, die eben auch die Freiheit
zum Bösen ermöglicht. Nachdem diese Welt eben nicht das höchste Ziel ist,
sondern die Anschauung Gottes in einer anderen Seinsweise dieses höchste Ziel
des Menschen sein soll, ist das Vorläufige,
Unvollkommene und Böse eben möglich und denkbar.
Aktuelle Ansätze der Auseinandersetzung mit der Frage der Theodizee
Für den bedeutenden evangelischen Theologen Karl Barth ist das Böse die
"unmögliche Möglichkeit". Er meint, dass es auf die Frage der
Theodizee letztlich keine Antwort oder Lösung gebe. Dennoch sei der Mensch
nicht berechtigt, Gott anzuklagen. Vielmehr spricht er von einem Paradoxon der
Welt.
Für Immanuel Kant sind in der Frage metaphysischer Spekulationen um die
Rechtfertigung Gottes angesichts des Leids die Möglichkeiten des menschlichen
Geistes begrenzt. Die Vernunft, so meint Kant, stößt in dieser Frage an ihre
Grenzen. Diese Idee hat schon vor ihm Martin Luther vertreten. So hat er auch eine Schrift "Über das Mißlingen aller
philosophischen Versuche in der Theodizee" im Jahre 1791 verfasst. Vielfach wird mit der Begrenztheit menschlichen Verstehens auch darauf
verwiesen, dass das Leid in einem größeren Sinnzusammenhang vielleicht doch
nicht sinn-los ist, sondern den betroffenen Menschen eben nur so erscheint.
Gott als der Mit-Leidende und der, das das Leid zu bewältigen hilft
In der christlichen Theologie wird heute kaum jemand ernsthaft eine
überzeugende Antwort auf die Frage der Theodizee geben wollen. Zumeist wird
darauf verwiesen, dass die Spekulation um diese (philosophische) Frage müßig
sei. Der Blick müsse vielmehr darauf gerichtet werden, dass Gott auch im Leid
den Menschen beisteht, dass er hilft, Leid zu überwinden. Vielleicht stimmt der
Satz, dass das Leid wohl die größte Infragestellung Gottes bedeutet,
gleichzeitig ohne Gott das Leid aber kaum bewältigbar ist. Was bleibt jemanden,
der nicht an Gott glaubt, zum Trost, wenn ihn Leid trifft? Ohne auf die
Hoffnung, dass das Leid der Welt überwunden wird, trifft dieses die Menschen
doch noch viel gnadenloser (im besten Sinne des Wortes). So sehr also Hader,
Zorn, Zweifel und Anklage angesichts des Leids verständlich ist, so sehr ist
gleichzeitig Trost und Hoffnung vielleicht - wenn überhaupt - nur im Glauben an
Gott und im Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod möglich.
Gerade angesichts der schrecklichen Flutkatastrophe in Asien im Dezember 2004 wird die Frage
wieder neu diskutiert. Bernd Jochen Hilberath, Dogamtikprofessor aus Tübingen,
gibt in einem Interview im Katholischen Sonntagsblatt folgende Hinweise. Er
meint, dass es letztlich keine Antwort auf die Frage gebe, wie Gott eine solche
Katastrophe zulassen könne. Er wehrt sich gegen Versuche, die Schrecknisse auf
der Welt damit in Verbindung zu bringen, dass Gott die Menschen bestrafen wolle.
Als "legitime Haltung" im Zusammenhang mit dem unsäglichen Leid sagt
er, dass diese "die Haltung der Klage, auch der Anklage Gott
gegenüber" sei und verweist in diesem Zusammenhang auf Hiob. Schließlich
empfiehlt er: "Trotz allem Unsinn, allem Widersinn, den ich erfahre, ich
setze auf diesen Gott, ich halte an diesem Gott fest so wie Hiob es getan hat,
und ich klage und versuche mich soweit es geht solidarisch mit den Menschen zu
verhalten, so wie ich glaube, dass Gott ja trotz allem solidarisch ist mit
seiner Schöpfung." Den Aufruf der Solidarität der Menschen nennt er dann
als Möglichkeit, die Solidarität Gottes mit den Menschen deutlich zu machen.
(vgl. Katholisches Sonntagsblatt, Nr. 2, 9. Januar 2005, Seite 7).
Mit dieser Antwort liegt der Dogmatikprofessor auf der Linie der
alttestamentlichen Propheten. Auch diese haben immer wieder die Solidarität
angemahnt, die Solidarität mit den Schwachen, den Waisen und Witwen, den
Entrechteten, den Armen. Tatsächlich ist vielleicht die einzige Antwort das
ehrliche Mit-Leiden, Anteil-nehmen und die aktive Solidarität der Menschen mit
denen, die vom Leid betroffen sind. Die jüdische Theologie hat zudem immer
wieder auf das Motiv der Schechina hingewiesen. Diese Schechina bedeutet
die "Einwohnung Gottes" in der Welt, d. h. dass Gott selbst in der
Welt mit-leidet. Zuweilen wurde diese personifizierte Gegenwart Jahwes in der
Welt weiblich gedacht. Symbol für die Schechina war in früherer Zeit die
Bundeslade, das Zentralheiligtum der Israeliten, das im Tempel aufbewahrt wurde.
In christlichem Verständnis ist die Schechina, also die Gegenwart Gottes in der
Welt, in unüberbietbarer Weise mit Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Er, der
als der Sohn Gottes verehrt wurde, hat selbst das menschliche Leben in all
seinen Facetten, mit Leid und Freude erlebt und sich so solidarisch gezeigt.
Gerade der Kreuzestod Jesu, die schändlichste Form der Hinrichtung, ist Ausdruck
des solidarischen Mitleidens Gottes für die und mit den Menschen. So wurden die Worte Jesu
am Kreuz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" auch
immer wieder so gedeutet, dass sie die Unmöglichkeit des Verstehens von Leid
zum Ausdruck bringen. Selbst Jesus hat am Kreuz gezweifelt, gehadert, wollte,
"dass dieser Kelch an ihm vorüber gehen" solle. Und doch hat er
- im Vertrauen auf Gott - das Leid hingenommen. So bleibt vielleicht der Trost,
dass - wie der Kreuzestod Jesu - alles Leid einen wohl oftmals tief verborgenen
Sinn hat und haben kann. Diese Hoffnung auf einen Sinn kann in der Verzweiflung
des Leids Trost spenden.
Die Diskussion um die Theodizee
Gottes kam erneut im Zusammenhang mit der Tsunami-Katastrophe und den mehr als
270.000 Toten in Asien auf. Dabei war einhellige Meinung aller befragten
Theologen, dass es auf diese Frage keine befriedigende und versöhnliche Antwort
geben könne. Die Theologen waren sich darin einig, dass vielleicht Schweigen
die angemessenste Antwort sei. Neben der Zurückhaltung in Bezug auf
Erklärungsmuster, so wurde immer wieder betont, sei allein das Mit-Leiden, die
Solidarität, der Einsatz, das Leid zu lindern, die vielleicht einzige Reaktion
auf das Unfassbare.
Quellen:
Norbert Scholl, Die großen Themen des christlichen Glaubens, Darmstadt 2002,
Seite 294 bis 297
wikipedia - Internetlexikon, Stichwort Theodizee
Kath. Sonntagsblatt, Nr. 2, 9. Januar 2005, S. 7
Peter Kliemann, Glauben ist menschlich, Argumente für die Torheit vom
gekreuzigten Gott, Stuttgart, 10. Auflage 2001, Seite 23f
Johannes Kaiser, Abiturtraining Katholische Religion 1, Freising 1997, Seite 5
Hans Küng, Existiert Gott? - Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit, dtv
München, 1. Auflage 1981, S. 681ff; 757ff
Günter Brutscher, Die Frage nach Gott, unveröffentlichtes Manuskript, 1999
Stand: 30. März 2005
Günter Brutscher