Die europäische Einigung und die Bundesrepublik Deutschland

Geschichtlicher Aufriss; Organisationen auf dem Weg zur EU

Die Erfahrungen des II. Weltkrieges mit dem ausgeprägten Nationalismus in Deutschland bewogen die Menschen in Europa zu Überlegungen, dass überzogenes nationalstaatliches Denken einem friedlichen Europa entgegen stehen würden. So kam die Idee auf, dass ein verbündetes Europa Kriege für die Zukunft ein für alle Mal nicht mehr möglich machen sollten.
Schon bald nach dem Krieg wurde der Europarat gegründet (1949), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die europäische Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet zu fördern.
Tatsächliche Fortschritte im Hinblick auf ein vereintes Europa wurden allerdings erst einmal auf wirtschaftlichem Gebiet errungen. 1950 schlug der damalige französische Außenminister Robert Schumann (1886-1963) vor, die französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion "unter eine gemeinsame oberste Autorität innerhalb einer Organisation" zu stellen. 1951 wurde dieser Vorschlag mit der "Europäischen Gemeinschaft für Kohle- und Stahl" , der sogenannten "Montanunion" Wirklichkeit. Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg traten der Montanunion bei. Später kamen weitere europäische Staaten hinzu.
Schon 1951 wurde für die Bildung des Südweststaates (also des heutigen Baden-Württemberg) damit geworben, dass dies der erste Schritt zum "Vereinigten Europa" sei.

Schon 1957 wurde dann in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, seit 1967 EG, seit 1993 in die EU aufgegangen) gegründet (D, I, F, Benelux-Staaten). Der EWG-Vertrag wollte durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes die schrittweise Annäherung zwischen den Mitgliedsstaaten fördern. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit (etwa Aufhebung der Beschränkung von Ein- und Ausfuhrmengen) machte Fortschritte. 1968 folgte eine Zollunion mit einem gemeinsamen Außenzolltarif gegenüber anderen Staaten. Seit 1993 gibt es einen europäischen Binnenmarkt (d. h. dass alle Grenzen für Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital, häufig als die vier großen Freiheiten bezeichnet, in Europa beseitigt sein sollen).
1973 traten der EG Großbritannien, Irland und Dänemark bei, 1981 Griechenland, 1986 Portugal und Spanien. Diese nunmehr 12 Staaten schlossen 1992 den Vertrag von Maastricht, der am 1. November 1993 in Kraft trat. In diesem wurde die Gründung einer Europäischen Union (EU) beschlossen. Zudem sieht der Vertrag von Maastricht den Aufbau einer einheitlichen europäischen Währung vor. Weitere Gebiete enger Zusammenarbeit sind die Außen- und Sicherheitspolitik und die Innen- und Rechtspolitik. Damit sind die drei Säulen der Europäischen Union benannt (Säule 1: Aufgaben der EG mit Zollunion, Binnenmarkt, Gemeinsame Agrarpolitik, Strukturpolitik, Wirtschafts- und Währungsunion, Säule 2: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; Säule 3: Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik). 1995 wurden Österreich, Finnland und Schweden Mitglied der EU.
Das "Schengener Abkommen" trat 1995 in Kraft. Damit wurden die Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen der EU-Staaten abgebaut.
Im Vertrag von Amsterdam (1997) wurden die Vereinbarungen von Maastricht ergänzt, zudem wurde die Osterweiterung beschlossen. Im Vertrag von Nizza (Dezember 2000) wurde nochmals verhandelt: Zusammensetzung der Kommission (ab 2005 nur noch ein Kommissar aus jedem Land), Stimmengewichtung im Europäischen Rat, Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, weil der Zwang, einstimmig zu entscheiden, vielfach notwendig Beschlüsse verhindert.
Die Charta der Grundrechte der EU (am 7. 12. 2000 unterzeichnet) enthält u. a. die unantastbare Würde des Menschen, Freiheiten, die Gleichheit von Männern und Frauen, Solidarität, Bürgerrechte, justizielle Rechte).

Anstehende Probleme, Klärungsbedarf

Trotz weitreichender Fortschritte bleiben auf dem Weg zu einem vereinten Europa noch viele Probleme zu lösen, 
z. B.
> Struktur des Vereinten Europas: Soll Europa als Staatenbund (enge Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, kulturellen und politischem Gebiet, aber Erhalt der souveränen Nationalstaaten) oder Bundesstaat (nach dem Vorbild der USA, föderalistisch Struktur) organisiert werden? Mittlerweile werden drei Modelle diskutiert: Europa der Regionen (möglichst viele Entscheidungen dezentral, auf regionaler Ebene), Europa der Vaterländer (möglichst viele Entscheidungen bei den Nationalstaaten, d. h. nur wenige Politikbereiche werden europäisert; u. a. von Charles de Gaulle favorisiertes Staatenbundmodell), Vereinigte Staaten von Europa (europäische, nationale und regionale Ebene erhalten bestimmte, in einer Europaverfassung festgelegte Kompetenzen; entspricht dem Bundesstaatenmodell).

Immer wieder werden auch weitere Modelle einer möglichen europäischen Einigung, die hier kurz skizziert seien, genannt:
- Kerneuropa: Länder, die in der Kooperation und Integration weiter voranschreiten wollen, dürfen nicht durch Vetorechte anderer Mitglieder blockiert wird.
-" Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten": Mitgliedsstaaten einigen sich auf gemeinsame Ziele, die aber nicht von allen zum gleichen Zeitpunkt erreicht werden müssen (Beispiel Währungsunion).
- "Europa à la carte": Jedes Mitgliedsland hat das Recht, frei zu entscheiden, an welchen Bereichen der Gemeinschaftspolitik es sich beteiligen will, ja kann sich sogar aus bereits bestehenden Feldern der Integration, etwa dem gemeinsamen Agrarmarkt zurückziehen.

> Unklar ist auch das Verhältnis von Subsidiarität (festgelegt im Maastrichter Vertrag) und Entscheidungskompetenz in Brüssel (also die Frage: Welche Entscheidungen müssen auf europäischer Ebene fallen, welche bleiben in den Nationalstaaten?)  
Anmerkung: Subsidiarität bedeutet, dass die übergeordnete Ebene nur dann einschreitet, wenn die "untergeordnete" Ebene um Unterstützung nachsucht. Konkret also müssten die Nationalstaaten um Entscheidung bzw. Unterstützung der Europäischen Union nachfragen.

> Ausgleich zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen in Europa (Strukturfonds im Haushalt der EU)  
Die wirtschaftliche Entwicklung in Europa ist sehr unterschiedlich. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass bestimmte Regionen weniger entwickelte Strukturen haben als andere.

> dem Prozess der Europäisierung stehen Separationsbestrebungen (Anmerkung: Separationsbestrebung bedeutet, dass ein Teil eines Staates sich aus diesem lösen möchte und selbstständig bzw. "autonom" werden will) in einzelnen Regionen Europas entgegen: z. B. in Spanien (Katalanen; Basken), in Frankreich (Korsen), in Belgien (Wallonen), in Großbritannien wurden Wales und Schottland unabhängige Regional-Parlamente zugestanden.
> Demokratie und Rolle des Europäischen Parlaments  
So hat das Europäische Parlament, das von der Bevölkerung der einzelnen Staaten demokratisch gewählt wird, etwa in der Außen-, Sicherheits- und Agrarpolitik, wie auch in Fragen der Justiz und Sicherheit nur ein Frage- und Anhörungsrecht; Entscheidungen fallen aber auf der Ebene des Europäischen Rats  und des Ministerrats. Verbesserungen der Rolle des Europäischen Parlaments (aus gewählten Europaabgeordneten zusammengesetzt) hat es allerdings in Fragen des Binnenmarktes, der Gesundheit, des Umwelt- und Verbraucherschutzes, sowie in der Verkehrs- und Entwicklungspolitik gegeben.
> Folgen der anstehenden Osterweiterung (etwa für die Agrarwirtschaft...) 
So gibt es etwa mit Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Zypern und Estland Beitrittsverhandlungen, mittlerweile auch mit Rumänien, Bulgarien, Litauen, Estland, Malta und der Slowakei. Von der Türkei liegt seit 1987 ein Beitrittsgesuch vor. Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und die Todesstrafe, die es in der Türkei noch gibt, verhindern aber bisher konkrete Verhandlungen.
>  Auswirkungen der Europäischen Währungsunion (seit 1999), ab 2002 Euro als Zahlungsmittel in 12 der 15 Staaten der Europäischen Union (nicht dabei sind: Großbritannien, Schweden und Dänemark). Die Entwicklung des Euro wird zeigen, ob die erwarteten Hoffnungen erfüllt werden.
> Koordination in verschiedenen Feldern der Politik, wie Umwelt, Recht, Steuern...., Verbraucherschutz, Sicherheitspolitik (vgl. Kompetenzen von Europol, der gemeinsamen Polizeibehörde in der EU) und dabei Überwindung der nationalstaatlichen Besonderheiten (wurde u. a. deutlich in der Frage der Währungsunion, der Großbritannien, Dänemark und Schweden nicht beigetreten sind).

Der Weg zur wirklichen Europäischen Union(!) ist also noch ein sehr langer. Dieser kann aber nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die derzeit wohl spannendsten Fragen werden sein, welche Auswirkungen die Einführung des Euro (und dessen Stabilität) und die anstehende Osterweiterung für Europa mit sich bringen.