Hoheitstitel und deren Übertragung auf Jesus von Nazareth

Die zahlreichen Hoheitstitel (u. a. auch Sohn, Rabbi, Logos, Prophet, König...), die auf Jesus übertragen wurden, hat dieser für sich selbst nicht beansprucht. Vielmehr wurden die Titel, deren bekannteste der Sohn Gottes, Messias/Christus und Herr/Kyrios sind, nach der Erfahrung der Auferstehung, also nach Ostern, auf Jesus übertragen, um ihn als den verheißenen und von Gott gesandten Erlöser darzustellen. In Jesu Taten und Worten, in seinem Anspruch und in der Vollmacht, mit der er auftrat, wurde schon zu Lebzeiten Jesu dessen außergewöhnliche Stellung deutlich (vgl. implizite Christologie). Diese Überzeugung, dass eben dieser Jesus von Nazareth mehr war als ein Mensch, wurde dann unter anderem mit den Hoheitstiteln ins Wort gefasst. So sind die Hoheitstitel immer auch Bekenntnis und Ausdruck des Glaubens der Anhänger Jesu.
Dass Jesus selbst für sich keine Hoheitstitel (außer vielleicht den des Menschensohnes) beanspruchte, ist dadurch zu erklären, dass er Missverständnisse vermeiden wollte (die Hoheitstitel waren mit bestimmten Vorstellungen belegt, s. u.), dass er übertraf, was mit den Titeln zum Ausdruck gebracht werden konnte, dass er keine falschen Hoffnungen oder Befürchtungen wecken wollte, dass erst durch ihn der vielleicht tiefste Sinn der Titel zum Ausdruck kam. Schließlich wollte wohl auch Jesus der Jude vermeiden, dass er mit dem durch Titelansprüche untermauerten Bewusstsein seiner Göttlichkeit die Vertreter des orthodoxen Judentums (etwa Schriftgelehrte, Pharisäer, Sadduzäer,...) sein Verhalten offensichtlich als „Gotteslästerung“ missdeuten hätten müssen (wenn er z. B. den Titel Kyrios oder Herr für sich beansprucht hätte, hätte dies bedeutet, dass er sich mit Jahwe, der häufig mit dem Titel Kyrios angeredet wurde, gleichgesetzt hätte).

Messias / Christus / Gesalbter
Ursprüngliches Verständnis
Im Alten Testament (AT) wurden als Messias zunächst Könige, später Propheten und Hohepriester,  eben „gesalbte Häupter“ verstanden. So nannte sich auch David „Gesalbter des Herrn“. Der Gesalbte ist so der von Gott Geliebte, Beschenkte und Beauftragte. Salbung selbst bedeutete immer auch Zeichen der Auserwählung.
Der Messias wurde schließlich als ein von Gott gesandter, gottähnlicher oder gar göttlicher Retter verstanden.
Die Vorstellung, dass eine ideale königliche Mittlergestalt Gottes in die Geschichte eingreifen sollte und das endgültige Heil bringen sollte, entwickelte sich allerdings erst in den letzten Jahrhunderten vor Christus.
Zunächst wurde mit dem Messias nur ein idealer König erwartet, der als irdischer König Gottes Sachwalter und Platzhalter sein sollte und die „Hochzeit“ des israelitischen Königtums, welche mit dem Namen des Königs David verbunden wird, wieder herzustellen.
Im Spätjudentum entwickelten sich auch Überzeugungen, dass mit dem Messias ein politischer Befreier erwartet wurde, der mit militärischen Mitteln die Römer vertreiben sollte (so die Erwartung der Zeloten). Andere Gruppierungen hofften auf einen neuen überragenden Gesetzeslehrer oder darauf dass der Messias von allem Leid und aller Sünde erlösen würde. Zahlreiche Weissagungen im AT bezeugen die unterschiedlichen Erwartungen (u. a. Jes 9,5-f, Psalmen, Dan 7,13f usw.).
Übertragung auf Jesus
Zunächst wird der Titel Christus fast Teil des Namens Jesu, also dessen Eigenname. Jesus wird als Christus bezeichnet, weil in ihm der vom Geist Gottes erfüllte König gesehen wurde, der das Reich Gottes aufbaut (allerdings nicht als König im „klassischen“ Verständnis). Gleichzeitig ist er derjenige, der als Befreier verstanden wird (allerdings nicht von den politischen Feinden und Besatzern, sondern von Sünde und Schuld durch seinen Tod). Jesus wird als Mittler des Heils, als Führer zum Leben mit Gott, als Spender des neuen Lebens gesehen, sodass eine Übertragung des Titels auf ihn, der die alttestamentlichen Verheißungen und Hoffnungen (unerwartet anders) erfüllt, gerechtfertigt erscheint.
Fast widersprüchlich zur Bezeichnung Christus ist, dass Jesus gekreuzigt wurde und so den denkbar schmachvollsten Tod, der auch als Ablehnung und Verdammung Gottes verstanden wurde, erleiden musste. Gerade der Kreuzigungstod passte eigentlich überhaupt nicht in das Bild eines Christus, eines Kyrios oder gar Sohn Gottes.

Herr / Kyrios
Ursprüngliche Bedeutung
Der Titel Kyrios wurde als Name für Gott verwendet, da die Juden ihren Gott nicht mit Jahwe anzusprechen sich getrauten. In der hebräischen Sprache lautet der griechische Begriff des Kyrios „adonai“.  Die Septuaginta, eine Übersetzung des Alten Testaments in die griechische Sprache, verwendet den Begriff Kyrios für adonai.
Im „normalen“ oder profanen Sprachgebrauch bedeutet das Wort „Besitzer“ oder „Gebieter“.
Eine weitere Variante des Vorverständnisses des Begriffs Kyrios ist die, dass im hellenistischen, also nicht-jüdischen Umfeld mit Kyrios Götter, vergottete Herrscher und römische Kaiser (so etwa auch Augustus) bezeichnet wurden.
Übertragung auf Jesus
Mit dem aramäischen Ruf „Marana Tha“ (unser Herr, komm) wird deutlich, dass die Jünger Jesus schon zu Lebzeiten als ihren Herrn verstanden haben. Seine Auferweckung festigte schließlich die Überzeugung und den Glauben an Jesus als den himmlischen Kyrios. So wird Jesus als Gott verstanden, als Herr über die Welt und Herr über die Gemeinde (erstmals auf Jesus übertragen wurde der Titel wohl in der Jerusalemer Urgemeinde). Jesus wurde schließlich als kommender Richter verstanden, der schon bald endgültig wiederkommen wird.

Sohn Gottes
ursprüngliche Bedeutung
Im AT wird der Begriff ursprünglich für das ganze Volk Israel, später für jeden „Gerechten“ und schließlich für den König als den Vertreter des Volkes Gottes oder für den erwarteten Messias-König aus dem Hause David verwendet. Damit war allerdings keine Wesensaussage, sondern eine Verhältnisbestimmung gemeint.
In der hellenistischen und römischen Welt wurden Kultgottheiten, der Kaiser oder göttliche Menschen als Sohn Gottes verehrt (vgl. auch Kyrios). Die Griechen hielten ihre Göttersöhne für von Gott gezeugte, göttliche und unsterbliche Wesen. In der hellenistisch aufgeklärten Welt verstand man unter dem Begriff Gottessohn, dass Menschen das Wirken Gottes in der Welt offenbar machten.
In Ägypten galten die Pharaonen als Söhne des Sonnengottes Re. Im Alten Orient wurde der Begriff des Gottessohnes häufig für Könige verwendet.
Übertragung auf Jesus
Der Titel Sohn Gottes wurde auf Jesus übertragen, um auf dessen außergewöhnliches Verhältnis zu Gott hinzuweisen (z. B. sitzet zur Rechten Gottes). Die ältesten Sohn-Gottes-Aussagen über Jesus erklären, dass Jesus durch die Auferstehung als Sohn Gottes inthronisiert wurde (Aszendenz- oder Erhöhungschristologie), vgl. Röm 1,3.
Im Markusevangeliums wird Jesus als Sohn Gottes mit Beginn seines öffentlichen Auftretens (Taufe) verstanden, bei Lukas mit der Geburt bzw. Empfängnis (vgl. Motiv der Jungfräulichkeit). Im Johannesevangelium ist er gar Sohn Gottes von Ewigkeit her (Präexsitenzchristologie). Er stiegt herab auf die Erde (Deszendenz- oder Abstiegschristologie), er der schon von Ewigkeit an war, der Mitschöpfer der Welt ist, der vom Vater gesandt ist, Mensch zu werden, um die Menschen zu retten.
Diese sogenannte „Präexistenzchristologie“ macht aus dem Sohn-Gottes-Titel, der ursprünglich als Erwählung oder auch Adoption verstanden wurde, zu einer theologischen Aussage über das Wesen und die Herkunft Jesu.
Wenn im NT Stellen zu finden sind, in denen sich Jesus selbst als Sohn bezeichnet, sind diese allerdings noch nicht als Wesensaussagen zu verstehen, sondern sollen die außergewöhnliche Beziehung Jesu zu seinem Vater (abba) zum Ausdruck bringen.

Quelle:
Ergebnisse der Gruppenarbeit der Schüler des Kurses 12 A (Zusammenfassung von Lexikon-Artikeln)
Skript „Jesus Christus“. Lerninhalte für Schüler für das Abitur in Kath. Religionslehrer, 1984