Die Kirchen im Dritten Reich - zwischen Widerstand und Anpassung
"Wer nach Beweisen für Schuld und Versagen des christlichen Glaubens in dieser Zeit sucht", schreibt Klaus Scholder, "wird sie ebenso finden wie Beweise für Standhaftigkeit und Bewährung: Es gab blinde Gutgläubigkeit, fanatischen Nationalismus und hemmungslosen Opportunismus ebenso wie hellsichtige Warnungen, freimütiges Bekennen und entschlossenen Widerstand." (zitiert nach Albers, Kirche, Staat, Politik, S. 134)
Das Reichskonkordat
Nach dem Vorbild der Lateranverträge aus dem Jahre 1929, in denen
zwischen Papst Pius XI und dem italienischen Regierungschef Benito Mussolini
die sogenannte "römische Frage" geregelt wurde, wurde auch in
Deutschland, schon unmittelbar nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler, ein
Reichskonkordat geschlossen.
Die Lateranverträge garantierten dem Papst den Vatikanstaat als Ersatz für den
im Zuge der italienischen Einigung aufgelösten Kirchenstaat. In diesem
Vatikanstaat ist der Papst seither souveräner Herrscher mit allen
dazugehörigen Rechten. Zudem wurden der katholischen Kirche besondere
Privilegien eingeräumt und Entschädigungen des Staates für die kirchlichen
Verluste vereinbart. Auf der anderen Seite wurde dem katholischen Klerus
politische Betätigung verboten.
Hitler, selbst zwar Katholik, verfolgte das Ziel, "mit Stumpf und Stiel,
mit all seinen Wurzeln und Fasern das Christentum in Deutschenland
auszurotten", wie er im April 1933 kundtat und weiter: "Man ist
entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein". Um aber
innenpolitische Stabilität zu erlangen verschob er dieses Ziel in die Zukunft
und widmete sich zunächst einer Aussöhnung mit den Kirchen und dem
Christentum. Gerade die katholische Kirche stand Adolf Hitler und dem
Nationalsozialismus ablehnend gegenüber. Immer wieder wurde von Seiten
kirchlicher Vertreter das Zentrum, die
"katholische" Partei, zur Wahl empfohlen. Um sich die katholische
Kirche gefügig zu machen wurde schon unmittelbar nach der Machtergreifung ein Reichskonkordat
für die Kirche in Aussicht gestellt. In unglaublicher Geschwindigkeit wurde
dieses in einem Zeitraum von etwa einem Vierteljahr vorbereitet und am 20. Juli
1933 unterzeichnet. Für die katholische Kirche wurde in diesem (noch heute
gültigen Reichskonkordat) "die Freiheit des Bekenntnisses und der
öffentlichen Ausübung der katholischen Religion" (Artikel 1) zugesichert,
die Garantie des katholischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach
gegeben (Artikel 21) und Bekenntnisschulen garantiert (Artikel 23).
Staatsleistungen für die Kirche wurden ebenso geregelt wie der Fortbestand der
Verbände garantiert wurde, sofern sich diese ausschließlich im kirchlichen
Bereich betätigten. Damit schienen sich Hoffnungen der Kirche zu erfüllen, die
in früheren Verhandlungen schon nicht mehr zu erwarten waren. Zudem lag die
für die Kirche als schmerzlich erfahrene Zeit des Kulturkampfes unter Bismarck
noch gar nicht lange zurück (70-er Jahre des 19. Jahrhunderts).
Der Vorteil für Hitler war, dass er mit dem Konkordat den "politischen
Katholizismus" zerschlagen konnte, weil dieses festlegte, dass Geistliche
und Ordensleute nicht in politischen Parteien tätig sein durften. Damit entzog
er dem Zentrum den Boden. Dieses löste sich dann auch schon im Juli 1933
auf. Zudem erfuhr Hitler durch die Vertragsschließung innenpolitisch eine
ungeheure Aufwertung.
Mit Abschluss des Reichskonkordats bzw schon nach den Ankündigungen Hitlers,
dass er "die Rechte der christlichen Konfessionen nicht antasten
wolle" (Februar 1933) änderte sich auch die Haltung der katholischen
Kirche gegenüber dem Diktator. Der Nationalsozialismus wurde nun als einzige
Möglichkeit, dem Kommunismus und "Bolschewismus" Einhalt zu gebieten,
gesehen. Michael Kardinal Faulhaber, der Erzbischof von München, schrieb
anlässlich der Ratifizierung des Konkordats ein Telegramm, in dem er Hitler
"staatsmännischen Weitblick" attestierte und mit den Worten schloss:
"Uns kommt es aufrichtig aus der Seele: Gott erhalte unserem Volk unseren
Reichskanzler". Die Mehrheit des Episkopats (der Bischöfe) hatte sich dem
Zeitgeist angepasst und den früheren Widerstand gegen den Nationalsozialismus
(vorübergehend) aufgegeben.
Folgejahre zwischen Anpassung und
Widerstand
Schon in den Folgejahren wurde allerdings deutlich, dass sich Hitler nur wenig
gewillt zeigte, das Konkordat tatsächlich einzuhalten. Der Grundsatz "pacta
sunt servanda" (also Verträge sind einzuhalten) wurde von ihm nicht nur in
Bezug auf das Konkordat immer wieder geradezu mit Füßen getreten. Gegenüber
Bekenntnisschulen und in Bezug auf den Religionsunterricht gab es massive
Einschränkungen. Später kamen noch Prozesse und Verhaftungen gegen Ordensleute
und Priester hinzu, das Erscheinen kirchlicher Zeitungen wurde verboten,
Priester und Pastoren wurden in Konzentrationslager gesteckt. August Franzen
sieht drei Phasen des nationalsozialistischen "Kirchenkampfes": Hitler
hielt sich zunächst im Kampf gegen die Kirche zurück und überließ den
Weltanschauungskampf seinen Gefolgsleuten. In einer zweiten Phase der
"Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens" wurden ab 1934
kirchliche Verbände und Jugendorganisationen verboten, der Religionsunterricht
an Schulen erschwert bzw. zum Teil verboten, finanzielle Zuschüsse für soziale
kirchliche Einrichtungen entzogen, die kirchliche Presse unterdrückt und
Predigtverbote und Verhaftungen von Priestern und Laien vollzogen. In der
dritten Phase (ab 1940) wurde etwa im "Warthegau" (der Name für das
besetzte Polen) Christentum und Kirche nahezu völlig ausgerottet. Die
Liquidation der Kirche und des Christentums wurde vorbereitet. Die
"Endlösung", also die Absicht der Ausrottung des jüdischen Volkes,
begann 1941. 6 Millionen Juden wurden bis zum Ende des Krieges ermordet.
Zunehmend ging dann auch die Kirche auf Distanz zum Hitler-Regime, ohne
allerdings den offenen und umfassenden Widerstand zu organisieren. Kardinal
Faulhaber, der noch 1933 Hitler in dem besagten Telegramm feierte, gilt als
Verfasser des päpstlichen Rundschreibens "Mit brennender Sorge" aus
dem Jahre 1937. Dort heißt es u. a.: "Der Anschauungsunterricht der
vergangenen Jahre ... enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes
Ziel kannten als den Vernichtungskampf ... Nur oberflächliche Geister können
der Irrlehre verfallen, von einem nationalen Gott, von einer nationalen Religion
zu sprechen, können den Wahnversuch unternehmen, Gott ... in die Grenze eines
einzelnen Volkes, in die blutmäßige Enge einer einzelnen Rasse einkerkern zu
wollen..." (zitiert nach Blasig/Bohusch, von Jesus bis heute, S. 168).
Dennoch taktierten die Kirchen bis zum Ende der Nazi-Herrschaft. Öffentlicher
Protest blieb eher die Ausnahme. Zu groß war die Sorge, die Kirchen könnten
noch mehr Nachteile erfahren, zu groß war die Angst vor dem
nationalsozialistischen Terror, zu groß war die Furcht vor dem Bolschewismus,
der nach Überzeugung vieler nur von dem bestehenden Regime zurückgehalten
werden konnte.
Beispiele entschiedenen Widerstands blieben dennoch nicht aus. So ging der
Rottenburger Diözesanbischof Joannes Baptista Sproll als
"Bekennerbischof" in die Geschichte ein. Er predigte immer wieder
gegen die nationalsozialistische Weltanschauung und wurde aus diesem Grund schon
früh von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) überwacht. 1938 blieb er der
Volkabstimmung zum Anschluss Österreichs fern, weil er die gleichzeitige
Bestätigung der Reichstagsliste der Nationalsozialisten nicht mittragen wollte.
Die Polizei inszenierte daraufhin Tumulte vor dem Bischofshaus, verwüsteten das
Innere desselben und griff den Bischof in seiner Kapelle an. Im August 1938
wurde der Bischof aus seiner Diözese von der Gestapo entfernt und ins bayrische
Krumbach gebracht. Erst nach dem Krieg konnte er wieder zurückkehren. Die
Solidarität und Unterstützung des Bischofskollegium für Sproll blieb aus.
Die Tötung geistig und körperlich Behinderter, die im Jahre 1939 begann und
unter dem Begriff "Geheimorganisation T4" (benannt nach ihrem Sitz in
der Tiergartenstraße 4 in Berlin) und bis 24. August 1941 dauerte, konnte
u. a. durch mutige Proteste engagierter Männer der
Kirchen wieder gestoppt werden. So protestierte etwa der evangelische Landesbischof Wurm
in vielen Schreiben gegen dieses Vorgehen, das mit dem Begriff der
"Euthanasie" (griech. schöner Tod) bezeichnet wurde. Der katholische Bischof von Münster,
Clemens Graf Galen, teilte in einer Predigt mit, dass er gegen die
Verantwortlichen dieser Tötungsaktion Anzeige wegen Mordes erstatte habe.
Dennoch wurden mindestens 70.000 Menschen, die den Nazis als "lebensunwert"
galten, getötet. Eine der berüchtigten Tötungsanstalten war übrigens auch in
Grafeneck auf der Schwäbischen Alb.
Weitere bekannte Widerstandskämpfer von Seiten der Kirchen
waren Alfred Delp (Foto links), Helmut von Moltke oder Dietrich Bonhoeffer (Foto
rechts), von dem die Zeilen: "Von guten Mächten wunderbar geborgen..." stammen,
Sie alle mussten für ihre
Zivilcourage mit dem Leben bezahlen. Bonhoeffer war auch einer der
wenigen, die gegen die Judenvernichtung der Nazis offen eintraten ("Nur wer
für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen"). Zumeist wurde in
dieser Frage geschwiegen, nicht selten zeigte sich auch in kirchlichen Kreisen
ein unverhohlener Antisemitismus. Papst Pius XII wurde "feiges
Versagen" aus diplomatischen Rücksichten in der Frage der Judenverfolgung
vorgeworfen (so Rolf Hochhuth in seinem Theaterstück "Der
Stellvertreter"). Andere Historiker führen an, dass von den etwa 950.000
Juden, die die Verfolgungen überlebt haben, etwa 70 bis 90 Prozent durch
Maßnahmen von katholischer Seite gerettet wurden.
Auch auf evangelischer Seite war die Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus
alles andere als eindeutig. Die "Deutschen Christen" waren durchaus
sehr regimetreu, zuweilen gar fanatisch. Ihnen gegenüber stand die
"Bekennende Kirche", die sich explizit von den
"deutsch-christlichen Lehren" distanzierte und vielfach offenen
Widerstand zeigte (u. a. Martin Niemöller).
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs bekannte die evangelische Kirche in
Deutschland im
sogenannten "Stuttgarter Schuldbekenntnis": "Wir klagen uns an,
dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt
und nicht brennender geliebt haben" und weiter: "Durch uns ins
unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden" (zitiert
nach Albers, Kirche, Staat, Politik, S. 134).
Die historische Bewertung des Verhaltens der Kirchen während des Dritten Reichs
ist noch lange nicht abgeschlossen. Gewiss hätte man aber rückblickend mehr
eindeutigen Widerstand erwarten müssen. Die Gründe für das vielfach
zögerliche Verhalten von Kirchenverantwortlichen und Laien wurden in den obigen
Ausführungen immer wieder angedeutet. Vielleicht wird die Zukunft auch über
manches Verhalten in unserer Zeit (etwa im Zusammenhang mit dem Schutz des
Lebens) ein Urteil erbringen, das wir uns kaum vorstellen können.
Quellen:
Albers, Wolfgang, Abiturwissen Kirche - Staat - Politik, Stuttgart, 3. Auflage
2000, S. 115 bis 134
Blasig, Winfried und Bohusch, Wolfgang, Von Jesus bis heute, 46 Kapitel aus der
Geschichte des Christentums, München1973, S. 166 bis 171
Franzen, August, Kleine Kirchengeschichte, Freiburg, 7. Auflage 1978, Seite 369
bis 377
http://www.mdr.de/thueringen-exklusiv/135369-hintergrund-1235141.html, 18. April
2004 (Euthanasie-Verbrechen im Dritten Reich)
Fotos:
http://www.welt.de/kultur/article2190427/Das_Reichskonkordat.html, 05.06.2010
http://www.heiligenlexikon.de, 05.06.2010