Ludwig Feuerbach - Religionskritik und Atheismus
Ludwig Feuerbach (1804-1872) gilt als "(Kirchen-)Vater
des modernen Atheismus", weil sich viele (wenn nicht alle) ihm folgenden
Religionskritiker auf ihn berufen haben (so etwa auch Karl Marx!).
Das Anliegen Feuerbachs ist dabei durchaus "ehrenwert". Er wollte mit
seiner Religionskritik den wahren Humanismus bewirken. Mit seinem Atheismus will
er - nach eigener Aussage - die Menschen "aus Gottesfreunden zu
Menschenfreunden, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, ...
eben zu ganzen Menschen machen". Programmatisch in diesem Zusammenhang ist
das häufig zitierte Wort Feuerbachs: "Gott war mein erster Gedanke (Feuerbach
studierte 1823 zunächst Theologie, von der er sich aber mit der Überlegung
"Sie ist für mich eine verwelkte Blume" abwandte), die
Vernunft mein zweiter (Feuerbach studierte Philosophie bei Georg Wilhelm
Friedrich Hegel und promovierte zum Doktor der Philosophie), der Mensch
mein dritter und letzter Gedanke."
Religion als Projektion des Menschen
Feuerbach geht es um das Wesen der Gattung Mensch. Die Gattung Mensch ist
seiner Überzeugung nach - im Unterschied zum Individuum Mensch - unendlich.
Dennoch hat auch das Individuum Mensch eine Sehnsucht nach Unendlichkeit, die
eigentlich seine wahre Bestimmung sein könnte. Weil er diese aber im Alltag
nicht erfüllt sieht, weil er Elend und Tod und damit Endlichkeit hautnah
erfährt, projiziert der Mensch seine Wünsche aus sich selbst heraus in ein
unendliches Wesen, das er Gott nennt. Feuerbach sagt: "Nur im Elend des
Menschen hat Gott seine Geburtsstätte". So ist für ihn Religion und Gott
letztlich nur ein Wunschbild dessen, was er selbst sein wollte und könnte, ein
Wunschbild seiner eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte. In der Religion
konstruiert der Mensch demnach eine Beziehung zu seinem eigenen Wesen, das er
allerdings als solches nicht erkennt, sondern Gott nennt. Das Wesen Gottes ist
also die Widerspiegelung des Wesens der Gattung Mensch. Alle positiven
Eigenschaften des Menschen wie Weisheit, Güte, Macht, werden Gott oder den
Göttern in höchster Vollendung und Steigerung zugesprochen (Allwissenheit,
Allmacht, Unendlichkeit..). "Die Götter sind die als wirklich gedachten,
die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen", so Feuerbach,
der somit Gott und Götter als nicht real, also wirklich, sondern nur als
Wunschbild und somit Projektion des Menschen versteht. Weil diese Wünsche in
unterschiedlichen Kulturen auch differieren, sind auch die Gottesvorstellungen
nicht einheitlich. So konnten die Germanen sich Gott nur als machtvollen Krieger
vorstellen, sehr auf Landwirtschaft fixierte Völker stellten sich Gott als
Fruchtbarkeitsgott vor. Noch einmal Feuerbach in Umkehrung der bekannten
Formulierung aus der Schöpfungsgeschichte ("Gott schuf den Menschen nach
seinem Bilde", vgl. Gen 1,27): ""Der Mensch schuf Gott nach
seinem Bilde".
Damit wird Religion für ihn zur "Selbstentzweiung des Menschen" und
führt zur Entfremdung des Menschen von seinem eigentlichen Wesen.
Atheismus als wahrer Humanismus
Durch die Religion beraubt sich der Mensch quasi seiner eigentlichen
Bestimmung. Er bringt sich dabei um das Beste seiner selbst. "Der Mensch
bejaht in Gott, was er an sich selbst verneint", sagt Feuerbach, damit wird
Religion zur Negation des Menschen, "weil sie den Menschen dazu verleitet,
seine Energien an ein illusionäres Konstrukt zu verlieren, anstatt sein
Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und die Welt nach seinen Bedürfnissen zu
gestalten" (Peter Kliemann, Glauben ist menschlich, Seite 27).
Der Atheismus als das "Nein" zu Gott ist damit für Feuerbach das
uneingeschränkte "Ja" zum Menschen und somit die Negation der
Negation. Durch die Leugnung dessen, was der Mensch als Gott projiziert hat,
kann er sich selbst zurück gewinnen und mit sich selbst eins werden. Wenn die
Projektion, das Wunschbild Gott, zerfällt, besinnt sich der Mensch darauf, für
sich und die Gattung Mensch ein besseres Leben zu wollen und dies selbst zu
schaffen. Der Mensch wird sich seiner Eigenständigkeit, seiner Freiheit und
Selbstverantwortlichkeit bewusst. Theologie wird durch Anthropologie, Religion
durch Politik ersetzt, die dann für das Wohl der Mitmenschen sorgt. Feuerbachs
Religionskritik und Atheismus ist also eine fast logische Konsequenz aus seinem
"erkenntnisleitenden Interesse", dem radikalen Humanismus Raum
zu verschaffen. Geist und Idee lehnt er ohnehin - in Abgrenzung zu Hegel - ab.
Für ihn gilt der Materialismus. "Es gibt nur das Natürliche, nichts
Übernatürliches" und weiter: "Nicht Geist und Vernunft sind die
Grundlagen des Seins, sondern Materialität, Leiblichkeit und
Sinnlichkeit". Gott hat in seiner Philosophie keinen Platz, weil
"nicht Gott, (sondern) die Natur der Grund aller Dinge ist". Sein
Gottesbild ist einengend, die Freiheit begrenzend. Gott ist - so schreibt
Feuerbach in "Das Wesen der Religion" "eifersüchtig auf die
Natur, auf den Menschen, er allein will verehrt, geliebt, bedient sein."
Der Atheismus sei dagegen "liberal, freigebig, freisinnig..." So soll
an die Stelle der Gottesliebe die Menschenliebe als einzig wahre Religion
treten, an die Stelle des Glaubens an Gott, der Glaube des Menschen an sich
selbst und an seine Kraft und Bestimmung. "Homo homini deus est",
also: Der Mensch ist dem Menschen Gott, so Feuerbach in Anlehnung an den Satz
"homo homini lupus est" (der Mensch ist dem Menschen ein Wolf).
Auszüge
aus Feuerbachs "Das Wesen des Christentums" (1841)
Die Religion, wenigstens die christliche, ist das Verhalten des Menschen zu
sich selbst, oder richtiger: zu seinem Wesen, aber das Verhalten zu seinem Wesen
als einem anderen Wesen. Das Göttliche ist nichts Anderes als das Menschliche,
oder besser: das Wesen des Menschen, abgesondert von den Schranken des
individuellen, das heißt wirklichen, leiblichen Menschen.
Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst. Er setzt sich Gott
als ein ihm entgegen gesetztes Wesen gegenüber. Gott ist das unendliche, der
Mensch das endliche Wesen; Gott vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig,
der Mensch zeitlich; Gott allmächtig, der Mensch ohnmächtig; Gott heilig, der
Mensch sündhaft. Gott und Mensch sind Extreme: Gott das schlechthin Positive,
der Mensch das schlechthin Negative, der Inbegriff aller Nichtigkeiten.
Auseinandersetzung mit
Feuerbach
Zunächst ist Feuerbachs Anliegen aller Ehren wert. Ihm ging es darum, den
Menschen von Abhängigkeiten zu befreien. Eine leichtfertige Disqualifizierung
Feuerbachs wäre nicht gerechtfertigt. Recht hat Feuerbach auch insofern, als
dass alles menschliche Reden von Gott immer vorläufig bleibt, anthropomorph
bleibt. Und selbstverständlich fließen in Vorstellungen von Gott auch
biografische, kulturelle und gesellschaftlich bedingte Bedürfnisse und
Sehnsüchte ein. Die Vorstellung von Gott wurde darüber hinaus nicht selten
instrumentalisiert, um Menschen in ihren Abhängigkeiten und ihrer Unfreiheit zu
belassen. So bleibt Feuerbach das Verdienst, in eine "Wunde" der
Theologie - zumindest derer des 19. Jahrhunderts - gelegt zu haben.
In Auseinandersetzung mit Feuerbach ist allerdings auch festzuhalten:
- Seine Religionskritik entbehrt jeglichen Beweises, sie ist pure Behauptung,
vielleicht sogar selbst Projektion (also Wunschbild), wobei er sich die Gattung
Mensch so wünscht, wie er sie behauptet. So könnte durchaus Feuerbachs Wunsch
(nach Nichtexistenz Gottes) der Vater des (philosophischen) Gedankens sein.
- Die Kritik Feuerbachs könnte vielleicht den Gott der Philosophen treffen,
niemals aber den Gott der Bibel. Dieser nämlich ist nicht der, der eine
Entfremdung des Menschen will, sondern dessen Freiheit (vgl. Auszug aus
Ägypten), dessen Würde (vgl. den Dekalog und die Prophetenkritik an
ungerechten Strukturen), dessen Heil-Sein (vgl. die Zeichenhandlungen Jesu),
dessen ewiges Leben und Bestimmung (vgl. das Gebot der Gottes- und
Nächstenliebe). Die Zuwendung Gottes zu den Menschen ermöglicht biblisch das,
was wir mit Nächstenliebe bezeichnen (und was wohl auch Feuerbachs Anliegen
war).
- Das von Feuerbach proklamierte Gottesbild entspricht in keiner Weise dem
biblischen Bild von Gott, wie dies im Alten Testament (oder der Hebräischen
Bibel, wie das AT auch genannt wird) gezeichnet wird. Gott ist biblisch der ganz
Andere, der Unverfügbare (vgl. die Namensoffenbarung Jahwe als "Ich bin
der, der ich sein werde"), der in seinem Wesen vom Menschen gänzlich
Verschiedene und damit nicht einfach die Überhöhung menschlicher
Unvollkommenheit.
- Das Christentum lehrt, dass Gott nicht Wunschbild ist, sondern in Jesus
Christus Realität, Wirklichkeit, gar Mensch wurde. So kann Feuerbachs
"Homo homini deus" (der Mensch ist dem Menschen Gott) durchaus
umgewandelt werden in: "Deus homini homo" (also Gott ist für den
Menschen Mensch geworden) umgewandelt werden. Das Schicksal Jesu in Armut und
Leiden bis zum Tod am Kreuz entspricht nicht dem Wunschbild (Projektion) des
Menschen und ist dennoch Lehre von Gott, also Theologie und die christliche
Vorstellung von Gott.
- Einer philosophischen Logik hält Feuerbachs Ansatz ebenfalls nicht stand. Die
Behauptung, Gott sei ein Wunschwesen des Menschen, lässt keinesfalls die
Schlussfolgerung zu, dass diesem Wunsch nicht doch auch eine Realität und
Existenz entsprechen würde. Ansonsten müsste der Satz "Was ich mir
wünsche, kann nicht existieren" logisch stringent sein. Dagegen steht:
Wenn Durst die Sehnsucht nach Wasser ist, verweist gerade dieser Durst darauf,
dass es Wasser als Erfüllung dieser Sehnsucht gibt.
- Feuerbachs Religionskritik trifft also vielleicht die Zustände zu seiner
Zeit, nicht aber ein differenziertes Bild von Religion und Glaube.
- Hans Küng verweist in seinen Büchern bei aller Wertschätzung Feuerbachs
auch darauf hin, dass es - entgegen der Annahme Feuerbachs - gerade heute
ungezählte Menschen gibt, die gerade deshalb, weil sie an Gott glauben, freie
und selbstbewusste Bürger der Erde sind, weil sie eben Grund als Grund und
Garant ihrer Freiheit und Mündigkeit verstehen.
- Zudem hat die geschichtliche Realität Feuerbachs Wunschbild und Prognose
widerlegt. Gerade gott-lose "humanistische" Ansätze haben nahezu in
aller Welt zu unsäglichen Schreckenserfahrungen (Gulag, Holocaust, usw)
geführt. Küng formuliert dies so: "Der Weg von der Humanität ohne
Divinität zur Bestialität erwies sich oft als kurz" (Hans Küng, Credo,
München, 4. Auflage, Februar 2003, Seite 24). Somit muss die Anthropologie
Feuerbachs zumindest bezweifelt werden. Die Gattung Mensch hat sich -
insbesondere dann, wenn sie Gott ausgeblendet hat - eben nicht als vollkommen,
all-gütig, all-weise, gut, allmächtig erwiesen, sondern geradezu gegenteilig.
Damit ist also nicht nur seine Religionskritik, sondern auch seine Idee der
Anthropologie letztlich Illusion (was er an der Vorstellung Gottes kritisierte).
Literatur:
Hans Küng, Credo, Das Apostolische Glaubensbekenntnis - Zeitgenossen erklärt,
München, 4. Auflage, Februar 2003
Peter Kliemann, Glauben ist menschlich, Argumente für die Torheit vom
gekreuzigten Gott, Stuttgart, 10. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage
2001