Die Quintessenz aus der Schöpfungsgeschichte
(Überblick)
Mittlerweile
steht die Theologie wie die Geisteswissenschaften insgesamt nicht mehr in
Konkurrenz zu den Naturwissenschaften. Vielmehr gilt es, mit anderen
Wissenschaften, wie etwa der Naturwissenschaft, in Dialog zu treten. Die
Theologie bringt das biblisch-christliche Verständnis von Welt und Mensch
ein, um damit auch eine ethische Einordnung der Forschung und Technologie zu
ermöglichen. Von der Konkurrenz unterschiedlicher Ansätze der
Wissenschaftlichkeit über die Situation, dass die Wissenschaften
nebeneinander her existierten, ist mittlerweile der Impuls zum Dialog der
Wissenschaften gewachsen.
Dies soll am Beispiel der „Komplementarität (Auf-einander-Verwiesensein)
von Wissen und Glauben am Beispiel von Evolutionslehre und Schöpfungsglaube
dargestellt werden.
Die Evolution als „Entwicklung der Wirklichkeit von Energie zu Materie
(bio-chemische Evolution), von Materie zu Leben (bio-chemische Evolution) und
schließlich die phylogenetische (stammesgeschichtliche) Entwicklung der
Lebewesen von einfachen zu hoch entwickelten Formen (biologische
Evolutionstheorie)“
[1]
geht auf die Entwicklung der Lebensformen unter dem Aspekt der
Kausalität und dem zeitlichen und räumlichen Nacheinander ein. Die
biologische Evolutionslehre beschäftigt sich also mit dem „Wie“ der
Evolution. Die Frage nach dem Sinn, nach dem „Warum“ und danach „warum
überhaupt Etwas ist und nicht Nichts“ interessiert die empirisch arbeitende
Biologie nicht.
Der Begriff „Schöpfung“ ist dagegen ein theologischer Begriff und möchte
die existentielle Frage nach dem Grund aller Wirklichkeit beantworten.
Es geht nicht darum, den Vorgang der Entstehung der Welt zu
beschreiben. Die Schöpfungsberichte wollen die Frage nach dem „Woher“ und „Wohin“ des
Daseins erklären und somit dessen Sinn in den Blick nehmen.
Die Antwort auf diese Frage lautet: Gott hat die Welt aus freier Entscheidung
aus dem Nichts erschaffen (=“Creatio ex nihilo“). Die Schöpfung ist auf
Gott hingeordnet und hat in Gott ihren letzten Grund und damit Sinn. Und: Die
Schöpfung, wie sie Gott vollbracht hat, ist „gut“, ja sogar „sehr gut“.
Bis auch die Kirche sich darauf einlassen konnte, dass der Schöpfungsbericht
nicht die naturwissenschaftliche Erklärung der Entstehung der Welt darstellen
möchte, hat es allerdings einige Zeit gedauert. Richtig ist, dass noch zu
Zeiten Galileo Galileis (17. Jahrhundert) von Seiten der Kirche der
Exklusivitätsanspruch auch auf naturwissenschaftliche Fragestellungen erhoben
wurde. Umgekehrt haben die Naturwissenschaften damit, dass sie den biblischen
Schöpfungsberichten die (Natur-)Wissenschaftlichkeit abgesprochen haben, auch
deren legitimes Anliegen, den Sinn der Schöpfung, zu erläutern, abgelehnt.
Noch heute wird vereinzelt von Seiten der Naturwissenschaften der
Schöpfungsbericht als „Mystik“ abgetan. Umgekehrt gibt es aber auch noch
heute (etwa in den USA) Bestrebungen, die Schöpfungsberichte noch immer als
Erklärung für die Entstehung der Welt und des Lebens zu lehren. Dieses
Ansinnen wird von den sogenannten „Kreationisten“ vertreten, die
insbesondere in den USA eine beträchtliche Anhängerschar aufweisen.
Sobald die Schöpfungsberichte als naturwissenschaftliche Erklärungsversuche
missverstanden werden und die Evolutionstheorie bzw. die
naturwissenschaftliche Erklärung der Entstehung des Kosmos durch den Urknall
gegen die Schöpfungsberichte ins Feld geführt werden, ereignet sich jeweils
eine „Grenzüberschreitung“. Der Gegenstand und die Fragestellung von
Schöpfungsberichten und naturwissenschaftlichen Erklärungsmustern ist nicht
miteinander vergleichbar.
Vielleicht hilft ein Vergleich mittels eines Kunstwerks weiter. Die
Faszination für die „Mona Lisa“ Leonardo da Vincis mit den Überlegungen,
was die Faszination des Lächelns der Mona Lisa ausmacht, lässt sich nicht
mit der Analyse der Technik (Ölmalerei) und einer Vermessung der
Gesichtszüge erklären.
In
den beiden biblischen Schöpfungsberichten (dem der sogenannten
"Priesterschrift" Gen 1,1 - 2,4a und dem jahwistischen
Schöpfungsbericht 2,4b - 3,24) geht es zunächst darum, dass Gott als der
geradezu existentielle Grund der Wirklichkeit von Kosmos und Natur vorgestellt
wird. Gott schafft die Erde und strukturiert das "Lebenshaus Erde"
aus dem Chaos. Dabei bleibt die Schöpfung gestaltungsoffen, dynamisch, sie
ist - trotz der Endlichkeit - letztlich auf Heil angelegt. Gott macht am Ende
alles neu (creatio nova). Die Schöpfung der Erde wird dabei nicht als
einmalige und abgeschlossene Angelegenheit betrachtet. Vielmehr zeigt die
Natur selbst schöpferisches Potential, wobei sich der Mensch in besonderer
Weise einbringt. Die Schöpfung ist somit Natur, in der das Wirken Gottes
präsent und transparent wird (so zumindest nach der Vorstellung derer, die an
Gott glauben). Diese Überzeugung wird mit dem Begriff der "creatio
continua", der fortdauernden Schöpfung bezeichnet. Die Begrifflichkeit
Schöpfung ist gegenüber dem Synonym Natur so zu verstehen, dass Schöpfung -
im Gegensatz zu Natur - nicht nur messbar, empirisch erfassbar und mit
"Naturgesetzen" durchdrungen erfahrbar ist, sondern auch mit
Kategorien wie Ästhetik und Spiritualität zu betrachten ist und somit eine
sinnvolle und schützenswerte Qualität hat.
Der Mensch ist bei einem derartigen Verständnis von Natur als Schöpfung
Partner Gottes und Ebenbild Gottes. Ihm kommt bei der Vollendung des
Schöpfungsplans eine ganz besondere Rolle zu. Der Mensch ist befähigt in
Freiheit die Menschheitsgeschichte zu gestalten und im Schöpfungsprozess
mitzuwirken (Macht euch die Erde untertan, vgl. Gen 1,28). Die endgültige
Vollendung bleibt allerdings Gott vorbehalten (vgl. dazu den Begriff des
schöpferischen Vorbehalts in Analogie zum eschatologischen Vorbehalt, nachdem
das Reich Gottes zwar mit Jesus angebrochen ist, aber noch seiner Vollendung
harrt). Die Gestaltung der Schöpfung ist dabei als Schöpfungspartnerschaft
zu verstehen. Dem Menschen ist die Sorge für die Schöpfung übertragen (vgl.
dazu Gen 2, 15: Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den
Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte). Recht verstanden bedeutet
also der Appell, dass der Mensch die Erde "unterwerfen" solle
Ehrfurcht vor der Unversehrtheit der Schöpfung, die Verbundenheit des
Menschen mit allem Geschaffenen, die verbietet, dass Mitgeschöpfe (Pflanzen
und Tiere) nur als Mittel zum Zweck missbraucht werden. So gesehen geht es
nicht um eine pure Anthropozentrik (Mensch im Mittelpunkt), sondern um eine
Haltung der Achtsamkeit und der Ehrfurcht vor der Unversehrtheit der
Schöpfung.
Der Mensch selber bleibt als Gottes Ebenbild der Verfügbarkeit anderer
Menschen entzogen. Menschliches Leben ist in all seinen Facetten
"heilig" und mit einer unverletzlichen Würde von Gott ausgestattet.
Die Achtsamkeit vor der Schöpfung wird übrigens im "Sonnegesang des
Franziskus" (als Laudato si ein bekanntes Kirchenlied geworden)
deutlich:
Du höchster,
allmächtiger, guter Herr,
Dein sind das Lob und der Ruhm und die Ehre und aller Segen.
Dir allein, Du Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, Deinen Namen zu nennen.
Gelobt seist Du, mein Herr, mit all Deinen Geschöpfen,
Schwester Sonne besonders, die den Tag macht und durch die Du uns erleuchtest.
Schön ist sie und strahlend mit großem Glanz, ein Bild von Dir, Du Höchster.
Gelobt seist Du, mein Herr durch Bruder Mond und die Sterne;
am Himmel hast Du sie gebildet, klar und kostbar und schön.
Gelobt seist Du, mein Herr, durch Bruder Wind, durch Luft und Wolken,
durch den heiteren Himmel und jegliches Wetter,
durch das Du Deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.
Gelobt seist Du, mein Herr, durch Schwester Wasser,
die sehr nützlich und demütig ist und kostbar und rein.
Gelobt seist Du, mein Herr, durch unseren Bruder, das Feuer, durch das Du uns
erleuchtest die Nacht.
Schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark.
Gelobt seist Du, mein Herr, durch unsere Schwester Mutter Erde,
die uns trägt und ernährt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte
Blumen und Kräuter.
Gelobt seist Du, mein Herr,
durch jene, die verzeihen um Deiner Liebe willen und Krankheit leiden und Not.
Selig, die ausharren in Frieden, denn von Dir, Du Höchster, werden sie einst
gekrönt.
Gelobt seist Du, mein Herr, für unseren Bruder, den leiblichen Tod, dem kein
lebender Mensch entrinnen kann.
Weh denen, die sterben in schwerer Sünde;
selig jene, die erfunden sind in Deinem heiligen Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen nichts Böses antun.
Lobet und preist meinen Herrn und dankt und dient ihm mit großer Demut.
[1]
Johannes Kaiser, Kath. Religion
2, Abiturtraining, Freising 1998, S. 40