Die
Freude über die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 war groß und überschwänglich
auf beiden Seiten der ehemaligen Mauer. Im Osten erhofften sich die Menschen
neben der wiedergewonnenen Freiheit auch einen wirtschaftlichen Aufschwung. „Blühende
Landschaften“, so wurde ihnen zugesichert, würden schon in wenigen Jahren
entstehen.
Als dann allerdings die
Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer genau untersucht wurde, bot sich ein
ernüchterndes Bild. Die Produktivität im Osten Deutschlands betrug im
Durchschnitt gerade mal ein Viertel der Produktivität im Westen. Neben dem
ineffektiven Wirtschaftssystem der Planwirtschaft waren veraltete und
reparaturanfällige Maschinen, ineffiziente Arbeitsabläufe, fehlende Märkte
und wohl auch eine grundlegend unterschiedliche Arbeitsauffassung die Gründe für
die eklatanten Leistungsunterschiede zwischen Ost und West.
Die Treuhandanstalt, die bis 1994
bestand, hatte zunächst die Aufgabe, die ehemaligen Staatsbetriebe in
privatwirtschaftlich geführte Unternehmen zu überführen. Mehr als 14.000
Betriebe wurden so privatisiert. Nichtrentable mussten allerdings auch
eingestellt werden (ca. 3000 Betriebe).
Probleme:
- Die Arbeitsplatzstruktur musste fast
auf den Kopf gestellt werden. Obwohl die Betriebe eine deutlich geringere
Produktion als die im Westen zeigten, hatten sie weit mehr Arbeitskräfte. Zu
Zeiten der DDR war niemand „arbeitslos“, wenngleich nach
marktwirtschaftlichen Maßstäben viel zu viele Beschäftigte angestellt waren.
- Neben dieser „Ideologie der angeblichen Vollbeschäftigung“ waren es die
zunächst ungeklärten Eigentumsverhältnisse,
- die begrenzten Märkte
(Wirtschaftszusammenschluss mit dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe RGW
bzw. COMECON im Osten; kaum Handelsbeziehungen in den Westen)
- und die in der Planwirtschaft völlig realitätsferne Planung, die zu
miserablen Zuständen auch im Bezug auf die Maschinenmärkte führte.
- Die fehlende Konkurrenz der in der ehemaligen DDR gefertigten Waren gegenüber
denen auf dem Weltmarkt führte über Jahrezehnte hinweg zu einem Stillstand der
Entwicklung (vgl. Automobilindustrie).
Arbeitslosigkeit
So war schon unmittelbar nach der Wende ein sprunghafter Anstieg der Arbeitslosigkeit
festzustellen. Noch heute weist der Osten eine deutlich höhere
Arbeitslosenquote auf als der Westen (z. Vgl. die Zahlen vom März 2002: Westen
8,0 %; Osten 18,8 %; Gesamt 10 %).
Die hohe Arbeitslosigkeit im Osten ist derzeit vor allem darauf zurückzuführen,
dass die ursprünglich florierende Bauwirtschaft (Renovierungen maroder
Bausubstanz, Neubauten) mittlerweile ebenfalls an Dynamik verloren hat.
Strukturpolitik Solidarpakt "Aufbau Ost"
Bei den Feierlichkeiten anlässlich „Zehn Jahren deutscher Einheit“
wurde vom Staatsminister im Kanzleramt, Rolf Schwanitz (SPD), der für den
Aufbau Ost zuständig ist, eingeräumt, dass zwar beachtliche Erfolge erzielt
worden seien, seither aber „noch kein selbsttragender Aufschwung erreicht“
wurde. Damit einhergehend wächst die Enttäuschung auch der Menschen in
Ostdeutschland und wandelt sich zunehmend in Pessimismus. So werden auch die
Forderungen nach gleichem Lohn in Ost und West immer deutlicher. Die
unterschiedliche Lohnstruktur (im Osten ca. 80 % des Westniveaus) wird auf die
unterschiedliche Produktivität zurückgeführt.
Der „Aufbau Ost“, wie das
Programm der Bundesregierung heißt, wird fortgeführt. Schon bisher wurden mehr
als 1 Billion DM (ca. 500 Mrd. €) in diesen Aufbau Ost investiert (vgl. dazu:
der gesamte Bundeshaushalt beträgt ca. 500 Mrd DM, also ca. 250 Mrd. €) .
Weitere 306 Mrd DM (ca. 155 Mrd €) werden
im sogenannten Solidarpakt II, der 2005 starten soll und bis zum Jahr 2019
geplant, investiert. Die Finanzmittel dienen neben der Verbesserung der
Infrastruktur (Verkehrswesen, Bahn, Abwasserbeseitigung), der Sanierung von
Umweltsünden, dem Wohnungsbau, der
Investitionsförderung, dem Aufbau von Verwaltungsstrukturen,
aber auch der Kultur und der Belebung des Arbeitsmarktes.
Finanziert wird schon der erste
Solidarpakt im Wesentlichen durch den Länderfinanzausgleich und aus
Bundesmitteln, die wiederum durch den Solidaritätszuschlag (derzeit 5,5 % des
Steueraufkommens aus Lohn-, Einkommens- und Körperschaftssteuer).
Ziel: gleiche Lebensbedingungen in Ost und
West
Mittlerweile wird deutlich, dass
das Ziel, gleiche Lebens- und Arbeitsbedingungen im Osten wie im Westen zu
schaffen, deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt, wie ursprünglich angenommen.
Schon längst wird der Zeitraum einer Generation (ca. 30 Jahre) genannt.
Bis wann tatsächlich die
Produktivität in Ost und West auf einen Stand gebracht sein wird, lässt sich
letztlich nicht prognostizieren. Nach anfänglichem Aufschwung stockte die
Wachstumsdynamik im Osten. Die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lag im
Jahre 2000 gar zum dritten Mal hinter der Steigerung im Westen zurück, obgleich
das Produzierende Gewerbe eine Steigerung von 8 % aufwies. Die Produktivität
lag 2000 bei 70 % im Vergleich zu Westdeutschland.
Hinzu kommt, dass auch heute noch eine massive Abwanderungsbewegung der Menschen
in Richtung Westen zu beobachten ist. Naturgemäß sind es insbesondere die
jungen Leute, die im Westen ihre Zukunft aufbauen wollen. Jahr für Jahr werden
etwa 50.000 Fortzüge registriert. Für die Zukunft wird mit weiteren Umzügen
in den Westen gerechnet. Man befürchtet sogar schon einen sogenannten „brain-drain“,
d. h. einen kompletten Abzug der kreativen Kräfte aus Ostdeutschland, wo
derzeit noch ca. 13,5 Mio Menschen leben.
Subventionspolitik
Die Subventionspolitik, die ursprünglich für Unternehmen bis zu 50 % ihrer
Investitionssummen zum Aufbau eines Unternehmens bedeutete, wird zusehends in
Frage gestellt. Zumal dann, wenn keine Aussicht darauf besteht, dass langfristig
ein Unternehmen nach marktwirtschaftlichen Kriterien erfolgreich sein kann.
Mit dem sogenannten „Investitionszulagengesetz“ werden derzeit vor allem
kleinere Betriebe (bis 250 Beschäftigte) gefördert, indem bis zu 27,5 % des
Kaufpreises für Gebäude und Anlagen bezuschusst werden.
Weitere Beispiele für Subventionen:
-
alle Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes und produktnaher
Dienstleistungen in den neuen Bundesländern erhalten 10 % der Investitionen als
staatliche Zulage
-
die Modernisierung von Wohnungen wird mit 15 % gefördert
-
auch die Landwirtschaft wird entsprechend gefördert
-
zur Wirtschaftsförderung für die ostdeutschen Länder zählen
auch zinsgünstige Darlehen, ein Programm zur Eigenkapitalhilfe und staatliche Bürgerschaften
sowie EU-Fördergelder für wirtschaftsschwache Regionen
Kritik an der Subventionspolitik
Die Kritik an der
Subventionspolitik geht insbesondere in Richtung auf Aufblähung unrentabler
Unternehmen. Zuweilen wird von der „ostdeutschen Krankheit“ gesprochen.
Damit ist gemeint, dass durch die Unterstützungsmaßnahmen das Lohnniveau nicht
der tatsächlichen Produktivität angepasst wird, der Konkurrenzdruck
abgemildert wird und damit die Eigendynamik der wirtschaftlichen Entwicklung
gebremst wird.
Stand: 2004