Anspruch und Vollmacht Jesu (implizite Christologie) - Jesus und das Reich Gottes

Mit Jesus Christus haben sich - wie wohl mit keiner anderen Gestalt der Weltgeschichte - die Menschen seit 2000 Jahren auseinander gesetzt. Auf ihn gründet die größte Religionsgemeinschaft der Welt mit mehreren Milliarden Christen (Christen sind die, die an Jesus Christus glauben). Jesus von Nazareth ist eine historische Gestalt, dies wird mittlerweile nicht mehr in Zweifel gezogen. Nach ihm ist - wie einstmals nach den Regierungsjahren der Könige - die Zeit eingeteilt (v. Chr. und n. Chr.). Dabei wird mit den Evangelien und den außerbiblischen Quellen (v. a. Josephus Flavius) deutlich, dass Jesus gewiss eine ganz besondere Gestalt, ein besonderer Mensch war, der die Menschen faszinierte (bis auf den heutigen Tag), der aber auch provozierte (schon zu seinen Lebzeiten auf Erden, v. a. die jüdische Orthodoxie, vermutlich auch die römische Besatzungsmacht, zuweilen gar seine engsten Anhänger, vgl. Judas). Dennoch wäre Jesus wohl doch eine unter vielen bedeutenden Gestalten der Weltgeschichte geblieben, wenn er nicht auferstanden wäre und so in ganz besonderer Weise sich von allen anderen unterscheidet. Mit der Erfahrung der Auferstehung wurde den Anhängern Jesu klar, dass er nicht nur ein Mensch wie viele andere, sondern hervorgehoben ist, dass er und seine Botschaft mit der "Schande" des Kreuzestodes nicht von Gott verstoßen wurde, sondern dass er auferweckt wurde und somit von Gott (Vater) als Sohn Gottes, als Christus, letztlich als Gott selbst anerkannt wurde. Diese Überzeugung wird  mit den Hoheitstiteln (Sohn Gottes, Christus oder Messias oder Gesalbter, Kyrios oder Herr, Gott, Rabbi, Erlöser, Heiland, Menschensohn usw.) verdeutlicht. Auch die Glaubensbekenntnisse (Credo heißt "ich glaube") der frühen Kirche (u. a. der Philipperhymnus, Phil 2,5-11) und der durch die Konzilien geprägten Kirche machen die Überzeugung der Göttlichkeit Jesu deutlich (explizieren diese, deshalb "explizite Christologie"). Mit der "impliziten Christologie" bringt die Theologie zum Ausdruck, dass sich diese durch die Auferstehung bestätigte Göttlichkeit Jesu (menschliche und göttliche Natur in einer Person Jesus Christus) schon im Leben Jesu und in seinem Auftreten, seiner Botschaft und Praxis andeutet und transparent wird. Dabei wird unter anderem auf nachfolgende Besonderheiten hingewiesen, die Jesu Außergewöhnlichkeit verdeutlichen.

VERKÜNDIGUNG
(Botschaft)
- (Amen), ich aber sage Euch (vgl. die Antithesen der Bergpredigt; Mt 5, 17-48; bes. 5,18; 26; Joh 5,19 ff; bes. 5,19; 24 und 25; auch Mk 3, 28))
Jesus bekräftigt seine Worte und damit seine Lehrautorität mit Amen (bei Johannes gar verdoppelt). Diese Bekräftigung war eigentlich den Zuhörern als Anerkennung vorbehalten. Amen heißt „So sei es“. Er beruft sich niemals auf theologische Lehrer oder Schriftgelehrte.
So hebt sich Jesus gar von der Thora, dem allgemein verbindlichen Gesetz, ab und überbietet dies. Er stellt sein Wort parallel zu dem was überliefert wurde und bekräftigt dies sogar zuweilen mit dem Amen.
- Prophetische Rede Jesu
Jesus spricht wie ein Prophet, der sein Wort als das Wort Gottes verkündet. Alttestamentliche Propheten setzen allerdings dem,  was sie als Wort Gottes verkünden, auch den Zusatz „Spruch des Herrn“ oder „So spricht der Herr“ voraus, um ihre – der Propheten – Predigt und das Wort Gottes deutlich zu unterscheiden. Jesus spricht allerdings ohne diesen Zusatz, weil sein Wort immer schon das Wort Gottes ist.
- Jesus redet mit Vollmacht (Mk 1,22; Mt 7,29)
Der Vollmachtsanspruch, die Souveränität Jesu wird auch von den Zuhörern anerkannt. Er lehrte als einer, der Vollmacht hatte und nicht wie die Schriftgelehrten.
- Gottes- und Nächstenliebe werden über das Gesetz gestellt.
Souverän und geradezu provozierend geht Jesus mit den jüdischen Sabbatgesetzen und Reinheitsvorschriften um.

PRAXIS
- Jesus heilt Kranke und verdeutlicht so, dass er die Menschen von Leid und Sünde befreien will, dass er das Heil Gottes für die Menschen will. Die Wunder sind als Zeichen der anbrechenden Herrschaft Gottes (des Reiches Gottes) und der Vollmacht Jesu zu verstehen.
- Zuwendung zu Sündern, die als von Gott Verstoßene gelten (vgl. Mt 9, 9-13; Mt 11,19 Freund der Zöllner und Sünder, Fresser und Säufer).
Jesus wendet sich bewusst den Sündern, auch denen, die als Unwissende (248 Gebote und 365 Verbote) gelten vorbehaltlos zu.  Tiefster Ausdruck dieser Zuwendung ist die Tischgemeinschaft, die Lebensgemeinschaft, Friede, Annahme des anderen bedeutet, ja sogar Vorwegnahme des ewigen himmlischen Mahles.
- Jesus ermöglicht das „Zutagekommen“ der Menschen (Günter Bornkamm). In den Begegnungen mit Jesus befreit dieser die Menschen aus Armut, Schuld, aus ihrer Besessenheit, ihrer Krankheit und ihrem Tod und eröffnet ihnen die ihnen eigenen Lebensperspektive (vgl. Mt 8, 1-4; Aussätzige waren ausgestoßen, Befreiung vom Aussatz bedeutete, dass die Menschen wieder in die Gemeinschaft integriert wurden; Lk 13, 10-16; die Heilung der gekrümmten Frau bedeutet für die Betroffene, dass sie wieder den Menschen in die Augen sehen kann, dass sie wieder auf "Augenhöhe" mit anderen ist).
- Vergebung von Sünden (vgl. u. a. Mt 9, 2-5; Mk 2,1-12; Joh 8, 1-11, Jesus und die Ehebrecherin))
Vergebung der Sünden war einzig und allein Gott vorbehalten. Wer für sich den Anspruch erhob, Sünden zu vergeben, musste als Gotteslästerer verstanden werden.
Im Zusammenhang mit den Heilungen und der Sündenvergebung lehnt Jesus die gängige Verbindung von Krankheit und Sünde nach dem klassischen „Tun-Ergehen-Schema“ ab.
- Jesu Ruf in die Nachfolge (vgl. Mt 8, 19-22)
Jesu Ruf trifft Menschen unterschiedlichster Herkunft. Er beruft Fischer, Zöllner, Zeloten usw. Seine Ruf gilt, bindet an ihn. Jesus wählt 12 in den engeren Jüngerkreis (Zwölf-Stämme-Volk Israel). Jesu Ruf in die Nachfolge bindet die Existenz der Gerufenen an seine Person.
So macht er auch das Heil der Menschen letztlich davon abhängig, wie sie ihm begegnen (Lk 12, 8-9). Er beruft souverän in seinen Jüngerkreis, nicht wie die Rabbis, bei denen man sich um Aufnahme bewarb.

GOTTESVERHÄLTNIS JESU
- Einzigartiges, geradezu vertraut-intimes Gottesverhältnis, das sich in der Anrede "Abba" ausdrückt (vgl. Mk 14,35)
Dem frommen Juden war der Name Gottes so heilig, dass er ihn kaum auszusprechen sich getraute. Eine Bezeichnung wie Abba, Papa, musste fast schon gotteslästerlich erscheinen.
Jesus weiß sich eins mit seinem Vater, eins mit Gott (vgl. dazu auch Mt 11, 25-27: "Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.)
- Jesus verbindet seine Person mit dem Reich Gottes
vgl. Lk 11, 20: Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.
Jesus verbindet das Heil der Menschen mit seiner Person.
Als die Pharisäer sich über Jesu Tischgemeinschaft mit Sündern empören, erzählt er das Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15) und setzt sich so mit diesem gleich.

ergänzt: Februar 2012