Entwicklungsstufen des Glaubens (nach Fritz Oser / Paul Gmünder)

Die Glaubensentwicklung des Menschen hängt ganz wesentlich davon ab, welche Erfahrungen die Menschen mit  Glaube und Religiosität machen. Grundlage dafür, glauben zu können, ist letztlich die frühkindliche Erfahrung von Urvertrauen, also die Erfahrung, unbedingt angenommen zu sein. Entscheidend sind die Menschen, die Glauben und Vertrauen vermitteln. Das Glaubenswissen ist eher "Zu-Gabe" als Voraussetzung dafür, glaubend und somit vertrauend das Leben zu meistern. Die Glaubensentwicklung ist niemals abgeschlossen. Neben den Erfahrungen, die Menschen mit dem Glauben machen, gehört die Reflexion, also die geistige Auseinandersetzung mit Glaubensfragen wesentlich zu einer gelingenden Glaubensentwicklung hinzu. An dieser Stelle sei allerdings davor gewarnt, Menschen und deren Glauben zu "qualifizieren". Vor einer undifferenzierten und wertenden Einordnung der Qualität des Glaubens muss gewarnt werden. Zudem zeigen Gottesbilder, die etwa von Menschen unterschiedlichen Alters gemalt werden, dass die einzelnen Stufen nicht immer dem Lebensalter entsprechen.

Stufe 1: Perspektive des „Deus ex machina“
Auf dieser Stufe wird in Gott als ein allmächtiges Gegenüber gesehen, das konkret und punktuell ins Weltgeschehen eingreifen kann, sei es positiv, indem es die „Guten“ für redliches Verhalten belohnt, beschützt und beschenkt, sei es negativ, indem es die „Bösen“ zurecht weist oder bestraft. Das Kind erfährt sich als weitgehend reaktiv; das Göttliche hingegen ist absolutes Subjekt, dem sogar zugetraut wird, Flugzeuge abstürzen zu lassen.
Stufe 2: Perspektive des „do ut des“
Gott wird als vom Menschen beeinflussbar verstanden. Der "Fortschritt" gegenüber der ersten Stufe besteht darin, dass das Kind fortan auf das "Ultimate", also auf Gott, einwirken kann. Es hat nun Mittel zur Verfügung, Gott für sein Wohlergehen in Dienst zu nehmen und sich vor ihm abzusichern. Das Verrichten guter Werke, das Einhalten der Gebote, Gehorsam und das Gebet verbürgt Gottes Gunst und Gnade. Verwerfliches Verhalten hingegen zieht  Sanktionen und Strafen nach sich. In der Tat: Das Gottesbild wird so verstanden, als ob Gottes Liebe im vertraglichen Rahmen eines Tauschhandels angeboten wird.
Diese Perspektive wurde und wird in der religiösen Erziehung oftmals angewandt. Viele Menschen kamen und kommen dann allerdings über diesen Entwicklungsstand nicht hinaus. Von daher rührt oft geradezu skrupulöses Verhalten. Zudem führte die Vorstellung des „do-ut-des-Gottes“ (do ut des bedeutet: ich gebe etwas, damit mir etwas gegeben wird)  dann allerdings auch zu Abwehrhaltungen gegenüber einem Gott, der offensichtlich doch nicht nach Wunsch gefügig zu machen ist. Auf dieser Stufe wird Gott oftmals als (strenger) Richter erfahren.
Stufe 3: Perspektive des Deismus
Die Gottesvorstellung in dieser Phase anerkennt Gott als den, der die Welt erschaffen hat, diese sich nun allerdings selbst überlassen hat. Dies ist die klassische Position des Deismus.
Die zweite Stufe in der Entwicklung der Gottesvorstellung zeigt allerdings, dass auch der „Gerechte“ von Leiden vielfach nicht verschont wird und gute Werke vor Unheil nicht immer schützen. Zumal solche Erfahrungen, wie sie gerade dem alttestamentlichen Menschen nicht fremd sind (vgl. Hiob), können die bisherigen Strukturen und Vorstellungsmuster von Gott zerbrechen. Hier beginnt sich die Stufe 3 zu formieren. Gott greift offensichtlich nicht mehr direkt ins Weltgeschehen ein, sondern driftet weg, in einen ihm eigenen Bereich, wenn er nicht überhaupt in seiner Existenz bestritten wird. So kann man die Stufe 3 auch als eine Position des „Quasi-Atheismus bezeichnen. Zumindest aber kann diese Entwicklungsstufe durchaus als „Krise in der Gottesbeziehung“ verstanden werden, die vermutlich viele Menschen durchlaufen. Gott wird, wenn überhaupt, als unbeteiligter Beobachter und nicht als "geschichtsmächtiger" Gott verstanden.
An die durch das Fehlen Gottes entstehende Leerstelle tritt der Mensch selber, der sich für sein Schicksal und für das seiner Welt fortan weitgehend selber verantwortlich fühlt und selbst bestimmen will.
Stufe 4: Orientierung an Korrelation und Heilsplan
Auf Stufe 4 werden der Bereich des Göttlichen und der des Menschen neu miteinander vermittelt. Gott scheint in der Welt auf, in Symbolen, im Kult, in seiner Schöpfung, in Erfahrungen des Menschen. Die auf Stufe 3 formierte Ich-Autonomie des Menschen wird aber nicht rückgängig gemacht. Vielmehr wird Gott als die Bedingung der Möglichkeit menschlicher Freiheit erfahren. Zudem erkennt der Mensch, dass in seinem Leben, aber auch in der Geschichte generell ein verborgener Heilsplan wirksam ist, der es ermöglicht, leidvolle Erfahrungen ex retro (also rückblickend) als dennoch notwendig, als Entwicklungsschritte zu begreifen. Der Mensch wirkt in diesem verborgenen göttlichen Heilsplan mit.
Gott steht also als Partner in einer dialogischen Beziehung zum Menschen. Diese Position ist vielleicht die klassische des Theismus.
Stufe 5: Orientierung an Intersubjektivität und universaler Solidarität
Auf dieser – nur selten erreichten – Stufe verwirklicht sich Gottes Liebe und Gnade im Leben und in zwischenmenschlichen Beziehungen. Gott wird dort zum Ereignis, wo Menschen sich bedingungslos lieben, sich trösten, sich befreien. Gott kann auch dort zum Ereignis werden, wo Menschen Leid erfahren. Konfessionelle Grenzen engen nicht mehr ein. Vielmehr wird die Perspektive einer universalen Solidarität eingenommen und das Göttliche als absolute Freiheit bestimmt, die den Menschen selbst zum Ziel hat. Die Autonomie des Menschen und die Allmacht Gottes stehen so in einem wechselseitigen Bedingungsgefüge. Gott wird als der absolut Autonome erkannt, der die menschliche endliche und begrenzte Autonomie (Selbstbestimmung) erst ermöglicht. So wird die Wahrnehmung der menschlichen Autonomie im solidarischen Verhalten zu den Mitmenschen gleichzeitig zum Ausdruck der Gottesliebe.

Quelle: Handreichungen zum Lehrplan für das Fach Kath. Religionslehre in Baden-Württemberg, Hg. Erzbisch. Ordinariat Freiburg, Bisch. Schulamt Rottenburg, 1997