Das biblische Gottesbild
Vorbemerkungen
Um angemessen von Gott zu sprechen, ist die Auseinandersetzung mit dem
biblischen Gottesbild des Alten und Neuen Testaments grundlegend. Dabei wird
deutlich, dass auch die Bibel kein eindeutiges oder gar festgelegtes Gottesbild
kennt. Die Formulierung Karl Barths, eines evangelischen Theologen, der
behauptete "Gott ist der ganz Andere" ist durchaus mit den
Erkenntnissen aus der Bibel vereinbar, weil auch bei intensiver
Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift deutlich wird, dass Gott als der
"Transzendente" (also unsere Wirklichkeit Überschreitende) letztlich
der menschlichen Vorstellung entzogen bleibt. Jegliche Gottesvorstellung ist
vorläufig und niemals endgültig. Diese Erfahrung hat dazu geführt, dass man
oftmals auch von "negativer Theologie" spricht. Damit ist gemeint,
dass von Gott vielleicht nur gesagt werden kann, was er nicht ist (also negativ
beschrieben werden kann). Die "Negative Theologie",
bezeichnet eine philosophische Lehre, nach der positive Aussagen über
Gott nicht möglich sind und zum Wesen Gottes nur auf dem Wege von Verneinungen
vorgedrungen werden kann. Im Sinne der Negativen Theologie ist das göttliche
Wesen das schlechthin "Unbekannte", das "ganz Andere", ein
Wesen, das über alle Bestimmungen erhaben ist. Nach der negativen Theologie
wird nur gewusst, dass Gott ist, nicht aber, was er ist. In
extremer Ausprägung lässt die "Negative Theologie" letztlich gar
keine Aussagen über Gott zu. Das alttestamentliche "Bilderverbot",
nach dem der Mensch sich kein Bild von Gott machen darf, entspricht dieser
Vorstellung, dass Gott eben nicht festzulegen ist. Dennoch ist es Anliegen der
Menschen, sich wenigstens einer Ahnung dessen, was und wer Gott ist, zu nähern.
Die Auseinandersetzung mit der Bibel bestätigt, dass die dort zu ergründende
Gottesvorstellung niemals statisch, endgültig ist, sondern immer dynamisch und
erfahrungsoffen. So gesehen ist auch die Selbstoffenbarung Gottes als
"Jahwe", was auch mit den Worten "Ich bin der, der ich sein
werde" eine sehr offene Definition. Gott lässt sich auch in dieser
Selbstoffenbarung nicht festlegen und verfügbar machen.
Das Judentum, das Christentum und der Islam sind monotheistische Religionen, das heißt, dass sie nur an einen Gott glauben (Gegensatz "Polytheismus", also Vielgötterglaube). Auch dieser Monotheismus hat sich erst im Laufe der Geschichte entwickelt. Frühe biblische Zeugnisse kennen durchaus noch die Situation, dass mehrere Götter miteinander "konkurrieren". So wurde Jahwe als der Gott der Patriarchen oder Väter (Abraham, Isaak und Jakob), der als "Sippengott" die Menschen begleitete, verehrt. Dieser musste seine Macht - wie es in der Bibel mehrfach beschrieben wird - gegen andere Götter "beweisen". Bis zum babylonischen Exil (6. vorchristliches Jahrhundert) kann man höchstens von einer "Monolatrie" sprechen, das bedeutet, dass die Israeliten durchaus mehrere Götter kannten (unter anderem Baal, der als kanaanitischer Gott in der Gestalt des goldenen Stieres oder Kalbes verehrt wurde oder andere Fruchtbarkeitsgötter), als auserwähltes Volk Gottes (Jahwes) aber nur den einen Gott verehren durften. Ausdruck dieses Übergangs zum Monotheismus ist das Gebet "Höre Israel" (hebr. schma), das im jüdischen Morgen- und Abendgebet bis heute formuliert wird: "Höre Israel: Jahwe ist unser Gott, Jahwe als einer allein!" (vgl. Dtn 6,4). Damit gilt, dass es von nun an keine Konkurrenzgottheiten oder Nebengottheiten, keine weiblichen Partnergottheiten (v. a. Fruchtbarkeitsgöttinen wie Astarte oder Ashera u. a.), keine bösen Widersacher (hebr. Satan, gr. diabolos) mehr gibt. Jahwe ist einzig, Herr über alles und darf so auch die ganze Hingabe des Menschen erwarten. Dieser Ein-Gott-Glaube, der Juden, Christen und Muslime eint, bedeutet den Sturz aller traditioneller und moderner Gottheiten (auch die Abkehr von der Vergötzung politischer Mächte und Machthaber und die Negierung moderner Götter wie Mammon, Sexus, Macht, Wissenschaft, Nation...).
Das Bilderverbot
Im Gegensatz zu den kanaanäischen Religionen (Kanaan war das Land, in das
Israel einwanderte) oder zur ägyptischen Religion mit ihren zahlreichen -
zumeist als Tiere dargestellten - Gottheiten, kennt das Volk Israel das
Bilderverbot, das gar an zweiter Stelle des Dekalogs steht (vgl. Ex 20,4-5a).
Damit grenzt sich Israel eindeutig von den Religionen seiner Umgebung ab,
wenngleich in der Geschichte Israels immer wieder Situationen auftreten, in
denen insbesondere die kanaanäischen Gottheiten (wie Baal und Aschera)
offensichtlich große Faszination auf Israeliten ausübten (so z. B. dargestellt
in 1 Kön 12, wo Jerobeam das Nordreich Israel gegen das Südreich Juda nach der
Trennung des Reiches durch goldene Stierbilder abgrenzt, die er dem Volk mit den
Worten präsentiert: "Siehe, das ist dein Gott, Israel, der dich aus
Ägyptenland geführt hat" (1 Kön 12,28). Auch die Verehrung des goldenen
Kalbes zeigt, wie anfällig das Volk Israel immer wieder für
"Götzendienst" war.
Mit dem Bilderverbot soll aber deutlich werden, dass der Gott Israels Jahwe,
eben nicht verfügbar zu machen ist mit einem Bild, das die Anbetung eines
Bildes oder einer Figur verwerflich ist. Der Gott Israels ist nicht einfach ein
Naturgott, ein Fruchbarkeistsgott oder Gewittergott, er ist kein geschöpfliches
Wesen (wie etwa die Sonne, die Sterne, der Mond, die zuweilen ja auch als
Gottheiten angebetet wurden), sondern der Welt gegenüberstehender Schöpfer.
Gott lässt sich nicht bildlich verfügbar machen, festlegen, herbeizitieren,
durch rituelle Handlungen wie Opferungen gefügig machen. Gott bleibt der
"Unverfügbare", der, "der er sein wird", wie die
Jahwe-Offenbarung auch verstanden werden kann. (siehe unten)
Das Bilderverbot hat die Menschen immer wieder beschäftigt und in der
Geschichte der Kirche gar zu einem Schisma (Kirchentrennung) geführt.
Ein - wie etwa im Islam, wo absolut keine Gottesbilder möglich sind (vgl.
dagegen die reiche islamische Ornamentik als "Ersatz" - rigides
Bilderverbot hat sich in der jüdisch-christlichen Realität nie ganz
durchsetzen können. Schon früh wurden für Gott bildnerische Symbole (z. B.
Dreieck, Hand, Wolke) verwendet. Michelangelo hat sich nicht gescheut, in der
Sixtinischen Kapelle Gott sehr plastisch darzustellen (vgl. die
Schöpfungsszene). Gerade bildhafte Darstellungen Gottes neigen allerdings sehr
dazu, sich Gott sehr anthropomorph (klassische Vorstellung: weiser, alter Mann
mit Bart) vorzustellen, die allerdings Gott niemals gerecht werden können. So
gesehen hat das Bilderverbot durchaus seinen Sinn.
Theologisch wird mittlerweile Jesus Christus als die "Ikone" Gottes
verstanden. Dabei ist mit dieser Ikone (Bildnis) allerdings kein
physiognomisches Abbild gemeint, sondern Bild/Ikone als Offenbarung dessen, was
Gott ist.
Grundzüge des alttestamentlichen Gottesbildes
- Gott der Befreiung und Bundesgott
Die zentrale Erfahrung Israels ist, dass Gott (JHWH) sein Volk aus der
ägyptischen Knechtschaft und Sklaverei in das Land, wo "Milch und Honig
fließen" geführt und somit befreit hat. Diese Befreiung aus der
Knechtschaft, die durch Mose im Namen JHWH erfolgte, wird in ähnlicher Weise
als Befreiung aus dem "babylonischen Exil" (6. Jahrhundert v. Chr.)
erneut erfahren. Gott ist also ein Gott der Freiheit.
Israel deutet die Befreiung aus der Sklaverei und die Führung durch die
Wüste, die nach biblischer Überlieferung 40 Jahre gedauert haben soll, als
Tat Gottes. So heißt es auch zu Beginn des Dekalogs (Ex 20, 2ff):
"Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der
Knechtschaft herausgeführt habe." Als Antwort auf diese Befreiungstat JHWH
ist der Dekalog zu verstehen. Die 10 Gebote sind quasi die
"Ausführungsbestimmungen" des Bundes, den JHWH mit seinem Volk
geschlossen hat. Die Grundsatzerklärung des Bundes ist auf der so genannten
ersten Tafel mit den ersten drei Geboten (Du sollst keine anderen Götter neben
mir haben; Du sollst dir kein Götterbild machen; Du sollst den Namen des Herrn
nicht missbrauchen). Die darauf folgenden Gebote sind nicht Begrenzungen und
Einschränkungen des Menschen, sondern Verheißungen, die letztlich Leben in
Gemeinschaft ermöglichen. Das Sabbatgebot ermöglicht, dass der Mensch nicht
auf Arbeitsleistung reduziert wird, sondern Anrecht auf einen gottgegebenen
Ruhetag hat. Das Gebot, "Ehre deinen Vater und deine Mutter" hat zur
Konsequenz, dass alte Menschen, die nicht mehr arbeitsfähig sind, nicht
Einsamkeit und Not befürchten müssen, sondern gepflegt und geachtet werden
(quasi ein sozial- und familienpolitisches Programm). Schließlich werden
Eigentum, das Leben, die Familie und die Wahrheit vor Willkür geschützt. Wer
sich gegen diese wendet, wendet sich gegen JHWH.
- Gott der Geschichte, Jahwe
Dieser Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei geht die Selbstoffenbarung
Gottes am "brennenden Dornbusch" (Ex 3) voraus. Dort gibt Gott seinen
Namen preis. Der Name Gottes ist uns als so genanntes "Tetragramm"
überliefert. Die vier Buchstaben (Konsonanten) lauten JHWH (demnach wird in
einer "wissenschaftlichen" Schreibweise der Gottesnamen Jahwe meist
mit den groß geschriebenen Buchstaben JHWH dargestellt).
Die Namensoffenbarung am brennenden Dornbusch (Ex 3, 1-15), als Gott Mose
seinen Namen preis gibt, eröffnet wesentliche Grundzüge des biblischen
Gottesbildes. Bei dieser Namensoffenbarung wird auch deutlich, dass es sich bei
dem Gott, den Moses "erfährt" um den Gott der Patriarchen Abraham,
Isaak und Jakob handelt. Die unterschiedlichen Übersetzungen des Jahwenamens,
der uns als Tetragramm JHWH überliefert ist, können dies belegen.
Zum einen wird das Tetragramm JHWH übersetzt als "Ich bin der Ich-bin-da".
Damit wird die Nähe Gottes zu den Menschen, seine Geschichtsmächtigkeit
deutlich. Er ist ein helfender und heilvoller Gott, was immer auch geschehen
möge. Gott meint es gut mit den Menschen. Dietrich Bonhoeffer trifft die
Gleichzeitigkeit von Nähe und Transzendenz Gottes mit seiner Formulierung. Er
sagt: "Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig". Gott nimmt mit den
Menschen Beziehung auf. Man könnte vielleicht auch übersetzen: "Ich bin
der, der für euch da sein wird". Im Judentum wird angenommen, dass das
Tetragramm besonders den Aspekt von Gottes Gnade betont. Eine andere
Übersetzung lautet: "Ich bin, der ich bin" oder "Ich werde sein,
der ich sein werde". Die Offenheit dieser Übersetzung macht deutlich, dass
Gott eben nicht festlegbar, verfügbar, im wahrsten Sinne des Wortes definierbar
(also begrenzbar) ist. Vielmehr erweist sich Gott immer wieder als
überraschend, unverfügbar, dynamisch, nicht statisch, auf die Zukunft
gerichtet.
- Gott der ganz Nahe und der ganz Ferne
An anderer Stelle in der Bibel wird deutlich, dass Gott zugleich nahe
und fern, verborgen ist. Dies wird unter anderem in der Geschichte der Begegnung
von Elia mit Gott am Berg Horeb deutlich (1 Kön 19, 11-13). Gott zeigt
sich in dieser Perikope nicht in machtvollen Zeichen wie Wind, Feuer oder
Erdbeben, sondern im "leisen Wehen" oder auch als "Säuseln des
Windes" übersetzt. Der bedeutende jüdische Philosoph und Theologe Martin
Buber bezeichnete dies mit seiner Übersetzung "ER (damit ist Gott gemeint)
- eine Stimme verschwebenden Schweigens".
Die Juden sprechen übrigens bis auf den heutigen Tag den Namen Gottes nach dem
Tetragramm JHWH nicht aus. Vielmehr setzen sie an Stelle der Aussprache des
Tetragramms den Begriff "Adonai" (=mein Herr) oder Elohim (=Gott). Von
daher ist auch zu erklären, dass die richtige Vokalisation (also die Aussprache
des Namens mit Vokalen) nicht klar ist. Eine Möglichkeit ist die Bezeichnung
"Jehova", die durch Überlagerung der Vokale von "elohim",
was soviel wie Herr, Gott bedeutet, entstanden ist. Eine andere Möglichkeit
wäre Jaho, Jehwah, Jehwih, Jehowih oder auch Jahwe (häufig als Jachwä
ausgesprochen). Im hebräischen Text des AT kommt der Name in der Form des
Tetragramms JHWH übrigens mehr als 6800 Mal vor.
- Gott der Schöpfer der Welt
Ein weiteres wesentliches Element der Gotteserfahrung Israels ist, dass Gott als
der Schöpfer erfahren wird. Die Welt, so wird vor allem im
priesterschriftlichen Schöpfungsbericht (Gen 1, 1 - 2, 4a) deutlich, ist
Gottes Schöpfung, die Natur wird entdivinisiert (entgöttlicht). Die Gestirne,
die Sonne, der Mond, die etwa bei den Babylonien noch als Gottheiten verehrt
wurden, sind Geschöpfe Gottes und somit eben nicht göttlich. Die Schöpfung
ist gut (Und Gott sah, dass es gut war) und nicht bedrohlich. Gott steht über
Raum und Zeit (er schuf Tag und Nacht, die Welt, den Himmel und die Bewohner der
Erde). Er selbst ist dagegen nicht entstanden, sondern war schon immer. Andere
Kulturen kennen in ihren Mythen so genannte "Theogonien", also Sagen
über die Entstehung der Götter. Der Mensch wird in der Schöpfung als Gottes
Ebenbild hervorgehoben. Ihm wird der Auftrag gegeben, an der Schöpfung
mitzuwirken (creatio continua, also andauernde Schöpfung). Man beziechnet dies
mit dem Fachbegriff, dass der Mensch "Mandatar" Gottes ist.
- Gott ist die Liebe, mütterliche Züge Gottes
Schon das Alte Testament kennt übrigens neben dem gerechten und
"eifersüchtigen" Gott auch die Eigenschaft eines sehr liebevollen,
geradezu mütterlichen Gottes. Dies wird unter anderem in Hosea 11, 1-11
deutlich. Man spricht im Zusammenhang mit dieser Textstelle auch von einem
"mütterlichen Gottesbild", das in der Formulierung "Denn Gott
bin ich, nicht Mann" (oftmals falsch übersetzt mit: Denn Gott bin ich,
nicht Mensch) gipfelt. Neuere Forschungen, vor allem von Seiten der so genannten
feministischen Theologie haben erwiesen, dass auch die Einheitsübersetzung sich
scheut, die Bilder mütterlicher Sorge, die in Hosea 11 verwendet werden,
angemessen zu übersetzen. In dieser Perikope wird wohl davon gesprochen, dass
Gott Israel "wie einen Säugling gestillt habe". So ist es wohl in
Vers 3 die Übersetzung "Und ich lehre Ephraim laufen" nicht richtig,
weil im gleichen Vers vom "auf die Arme nehmen" die Rede ist, was beim
Versuch, jemanden das Gehen zu lernen eher kontraproduktiv wäre. Vielmehr
müsste dieses Laufen lernen eher mit Stillen übersetzt werden. Übrigens wurde
dieser mütterliche Zug auch in neuerer Zeit immer wieder aufgegriffen. So ist
von Papst Johannes Paul I aus dem Jahre 1978 folgendes Zitat überliefert:
"Gott ist Vater, und mehr noch, er ist unsere Mutter".
- Gott der Unverständliche und Dunkle
Trotz der obigen Annäherungen an ein Verständnis Gottes bleibt
festzuhalten, dass Gott für die Menschen des Alten Testaments (und des Neuen
Testaments und unserer Zeit) letztlich nicht verstehbar bleibt. Es gibt
tatsächlich geschilderte Erfahrungen in der Bibel, die uns Gott als zumindest
unverständlich, wenn nicht "dunkel" erscheinen lassen. Dabei sei etwa
an die Stelle der "Beinahe-Opferung" Isaak (Gen 22, 1-14) erinnert, wo
Gott offensichtlich so sehr Glaubensgehorsam einfordert, dass er gar mit dem
Leben des Sohnes von Abraham, Isaak, "spielt". Auch die Geschichte
Hiobs lässt uns Gott als sehr unverständlich erscheinen. Lässt er sich doch
auf eine Herausforderung Satans ein, der Hiob quasi zum Spielball macht und
dessen Glaubensgehorsam "testet". Gleichwohl zeigt die Hiobsgeschichte
schließlich aber auch Gott, der sich dem hadernden und zweifelnden, gar
anklagenden Hiob zuwendet und ihm so wieder neue Perspektiven schenkt.
Es bleibt dabei: Gott kann nicht mit unserer Sprache und unserer
Vorstellungskraft erfasst werden. Alle Aussagen über Gott bleiben
"anthropomorph", also in menschlicher Vorstellung und damit eben
vorläufig und höchstens dem Geheimnis Gottes tastend auf der Spur. Der Begriff
des "Mysteriums" Gott, also des Geheimnis ist also nicht einfach ein
leichtfertiges Eingeständnis, von Gott nichts zu wissen, sondern zeugt davon,
dass der Mensch mit all seiner Intelligenz und Klugheit eben doch gefangen
bleibt in seiner Vorstellungswelt. Wer also behauptet zu wissen, wer Gott sei,
ist vermessen und übersteigt seine Kompetenz. Wir können letztlich nur ahnen,
wer Gott ist.
Das Gottesbild des Neuen Testaments
Das Bild des liebenden Gottes prägt
auch die Gottesvorstellung des Neuen Testaments. Dies gipfelt im 1.
Johannesbrief, wo Gott geradezu als "die Liebe" bezeichnet wird (vgl.
dazu 1 Joh 4, 7-16). Eine geradezu innige Gottesverbindung zeigt auch
Jesus, der von Gott als seinem Vater, gar von "Abba", also Papa,
spricht und auch uns die Bezeichnung "Unser Vater" (vgl. das
Vater-unser-Gebet) nahe legt. Im Gebet "Vater unser", das in der
Bergpredigt (Mt 6, 9-13) wird aber auch deutlich, dass Gott nicht einfach in
unserer Welt ist, sondern transzendent: Vater unser im Himmel(!), sein Name soll
geheiligt werden, sein Wille soll geschehen. Die Einschätzung von Franz Alt,
der behauptet, dass Gott von Jesus als "mütterlich-liebender Vater"
vorgestellt wird, ist allerdings nicht zulässig, weil sie die Aussagen Jesu
über den Gott des Gerichts einfach übersieht. Es ist also auch im Neuen
Testament kein Gott, der
verharmlost werden darf oder - noch einmal - verfügbar und beeinflussbar ist,
weil eben "sein Wille (und nicht unser Wille) geschehen soll"(!). Mit
Jesus, dem Sohn Gottes, wird insgesamt allerdings eine liebende, dienende, nicht an Macht
orientierte Gotteserfahrung deutlich. Gott ist der "barmherzige Vater"
(vgl. das gleichnamige Gleichnis Lk 15, 11-32). Dieses Gleichnis
(siehe Bild von Sieger Köder), das nur von Lukas überliefert ist, zeigt, wie
Gott auch die Verlorenen, die Sünder wieder in seine Arme aufnimmt. Gott selbst
ist es - in der Gestalt des "barmherzigen Vaters", der auf den Sohn,
der reumütig zurückkehrt, zugeht. Kaum ein anderes Gleichnis macht deutlich,
welches Gottesbild Jesus hatte. Die Rückkehr des auf eigenen Beinen stehenden
Sohnes wird zum Fest, zur Versöhnung und zeigt die alles übersteigende
Barmherzigkeit des Vaters. Wie schwer diese allerdings für die Menschen
verstehbar ist, zeigt der treue Sohn, der in dieser Szene eigentlich zum
"verlorenen" Sohn wird, weil er die Freude über die Rückkehr seines
missratenen Bruders nicht ebenfalls freudig aufnimmt, sondern in Neid sich
abwendet.
- Jesus Christus, der Sohn Gottes, ja Gott selbst
Das Gottesbild des Neuen
Testaments wird insgesamt in Jesus deutlich. Er ist "das Ebenbild des
unsichtbaren Gottes", er ist die letztgültige "Ikone" Gottes. Im
Johannesevangelium heißt es dazu: "In Jesus wird Gott sichtbar" (Joh
14, 8-11). Die herausragende Stellung Jesu als Gott, als Sohn Gottes, als
Offenbarung Gottes, als Mensch gewordener Gott wird auch im Neuen Testament an
verschiedenen Stellen ausgeführt. So etwa im Johannesprolog (Joh 1, 1-18), der
mit der Formulierung "Im Anfang war das Wort" bewusst auf die
Schöpfungsgeschichte verweist und deutlich macht, dass Jesus das "Fleisch
(also Mensch) gewordene Wort (Logos)" ist. Vielleicht noch deutlicher wird
dieser Gedanke im so genannten Philipper-Hymnus (Phil 2,5 - 11).
Jesus, der ursprünglich der das Reich Gottes verkündende war, wird selbst zum
verkündigten, also zum Gegenstand der Theologie und zu Gott.
Das Gottesbild des Neuen Testaments wird im Wesentlichen in der Reich-Gottes-Botschaft
Jesu deutlich. Diese ist geprägt davon, dass Gott - in und mit Jesus - das Heil
der Menschen möchte, selbst wenn die Menschen diesen Bund mit Gott immer wieder
gebrochen haben. Jesus selbst zeigt in seinen Gleichnissen (vgl. barmherziger
Vater) wie Gott den Menschen immer wieder eine Chance zum Neuanfang gibt.
Gefordert wird allerdings dabei auch die Umkehr, die Bereitschaft des Menschen,
sein Leben wieder neu auf Gott und die Gemeinschaft auszurichten. Gnade wird
also nicht einfach dem Menschen zuteil, sondern fordert die Annahme, den Glauben
des Menschen. "Gratia supponit naturam", so lautet ein bekannter
theologischer Grundsatz, also Gnade setzt die Natur voraus. Wie umfassend das
Heil allerdings dann von Gott den Menschen zuteil wird, wird in den
Zeichenhandlungen (oftmals als "Wunder" bezeichnet) deutlich. Das
Heilsein des Menschen ist nicht auf das Jenseits reduziert, sondern soll schon
im irdischen Leben Wirklichkeit werden. In besonderer Weise, allerdings nicht
exklusiv(!), wird die Reich-Gottes-Botschaft den Entrechteten, den
Unterprivilegierten, den Armen und den "Menschen guten Willens"
zuteil. Dies wird u. a. in den Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5) deutlich.
Wie sehr die Fürsorge Gottes den Menschen zuteil wird, wird in der Perikope von
der "unnötigen Sorge" (Mt 6,25-34, also ebenfalls noch in der so
genannten "Bergpredigt") deutlich. Gott, der Schöpfer und Bewahrer
der Welt (also wieder ein "geschichtsmächtiger" Gott) sorgt für die
Menschen wie er sich um die Vögel und Blumen des Feldes sorgt.
Der Aspekt des gnädigen, barmherzigen, liebenden Gottes wird also im
neutestamentlichen Gottesbild deutlicher, als dieser im AT ausgeführt ist.
Dennoch kennt auch das AT (oder die Hebräische Bibel) das Bild vom
"gnädigen und barmherzigen Gott, langmütig und reich an Huld" (vgl.
Jona 4,2.10f) oder den Gott der Vergebung (Nehemia 9,17). Eine Abgrenzung des
Gottesbildes nach dem Schema "AT: Gott des Gerichts; NT Gott der Liebe) ist
also nicht zulässig.
Gott fordert, richtet und
vollendet (Vgl. dazu auch "Gerechtigkeit
in der Bibel")
Das Gottesbild der Bibel (Altes und Neues Testament) ist ein dialogisches.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Vergebung Gottes, das Zugehen Gottes
(im Bild etwa durch das Zugehen des Vaters auf den verlorenen Sohn, Lk 15 oder
die Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch) auf die Menschen vorherrscht.
Immer wieder eröffnet Gott eine neue Verbindung, vergibt er den Menschen, die
sich von ihm abwenden und anderen Götzen sich zuwenden, selbst das Glück
suchen.
Dennoch bedeutet das dialogische Verhältnis zu Gott, dass dieser den Menschen
auch einfordert, ihm etwas zu-mutet und zu-traut. Wenn der Mensch die Zuwendung
Gottes ablehnt, muss er auch mit den Konsequenzen rechnen. In diesem Sinne kann
Gott durchaus auch als "Richter" gesehen werden. Die Gerechtigkeit
Gottes ist allerdings nicht eine Buchhaltergerechtigkeit, die gute Taten gegen
böse Taten aufrechnet. Vielmehr fordert Gott - so zumindest kann es aus der
biblischen Erfahrung geschlossen werden - das Herz des Menschen, seinen Glauben,
seine Umkehr, seine Bereitschaft zur Reue.
Zahlreiche prophetische Texte aus dem Alten Testament unterstützen dieses
Verständnis. Der Bundesschluss am Sinai (vgl. Ex 20) ist als Vertrag auf
Gegenseitigkeit formuliert (Gott ging mit der Befreiung aus Ägypten in
"Vorleistung" und fordert nun von Seiten der Menschen die 10 Gebote
ein).
Auch im Neuen Testament begegnet uns in der Botschaft Jesu ein fordernder Gott.
Deutlich wird dies etwa in der Perikope "Vom Weltgericht" (Mt 25,
31-46), wo davon berichtet wird, wie Gott "wie der Hirt die Schafe von den
Böcken scheiden" wird. Dabei wird als entscheidendes Kriterium dafür, ob
jemand das ewige Leben oder die ewige Strafe erhalten wird, das Verhalten des
Menschen genannt. Die Perikope gipfelt in dem Satz "Was ihr für einen
meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25, 40b).
Das Verhalten der Menschen zu den Mitmenschen wird also als Verhalten gegenüber
Gott selbst interpretiert.
Die Aussicht auf das ewige Leben, die Aussicht also auf Vollendung, wird dabei
durch die Auferstehung Jesu Christi ermöglicht (vgl. 1 Kor 15,
20-28).
Quellen:
Handreichungen zum Lehrplan für das Fach Katholische Religionslehre in
Baden-Württemberg, hg. vom Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg und vom
Bischöflichen Schulamt der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1997
Helen Schüngel-Straumann, "Denn Gott bin ich, nicht Mann", Gott als
Mutter in Hosea 11, in: Bibel heute, Heft 4/1999, Seite 102 bis 105
Peter Kliemann, Glauben ist menschlich, Argumente für die Torheit vom
gekreuzigten Gott, Calw, 10. Auflage 2001
Günter Brutscher
Stand: Februar 2005